PÄNG!TRIP

Auf einem Rad über die Alpen

Aus eigener Kraft die Alpen überqueren, zu Fuß oder auf dem Rad – fast jeder erwägt das irgendwann. Es sich aber noch schwerer zu machen und die Strecke auf nur einem Rad zu bewältigen – wie kommt man auf diese Idee? Stephanie und Lutz erzählen, warum sie ihren Alpencross auf Einrädern gemacht haben und wo das welche Schmerzen hervorruft.

TEXT&FOTOS Stephanie Dietze und Lutz Eichholz

DER PLAN
Wir sind hundemüde, haben seit zwei Tagen die gleichen verschwitzten Klamotten an, wunde Stellen am Körper und höllisch schmerzende Muskeln. Wir schreiben den Sommer 2010, gerade haben wir als erste Einradfahrer die Zugspitze überquert und fühlen uns wie Superman. »Als Nächstes fahren wir über die Alpen«, schlägt David vor. Wir stimmen lachend zu. Ein halbes Jahr später präsentiert er uns eine ausgetüftelte Route. Von Füssen nach Meran auf Wanderwegen. Die sind zwar anstrengender, aber schöner zu fahren. Macht 200 km und 10.000 Höhenmeter (Hm), sowohl bergauf als auch bergab. So richtig wissen wir mit den Zahlen nichts anzufangen. David als waschechter Oberösterreicher hingegen kennt sich aus in den Bergen. Also stimmen wir seinem Plan zu und vergessen wohlwollend seinen Hang zu kindlicher Übertreibung.

DIE VORBEREITUNG
Wir sind einigermaßen fit. Von mächtigem Muskelkater lassen wir uns nicht beeindrucken und wissen mit Schürfwunden und gestauchten Knöcheln routiniert umzugehen. Trotzdem sind wir uns bewusst, dass dieses Vorhaben unsere Grenzen aufzeigen wird. Ein bisschen machen wir es auch gerade deswegen. Es fordert einiges an Kreativität, um sich ohne nennenswerte Berge in der Heimat auf einen Alpencross vorzubereiten. Die jeweils höchste Erhebung in der Gegend fahren wir ein halbes Jahr vorher regelmäßig mehrere Male hintereinander hoch und runter. Lutz fährt zusätzlich Mountainbike, Stephanie Rennrad. Die Zahl der Räder ist egal, das Gesäß muss auf sehr viel Zeit im Sattel und die Beine auf dauerhafte Belastung vorbereitet werden.

Zwei Monate vorher bekommen wir Panik: Egal wie gut wir uns vorbereiten, kann das reichen? Je näher das Abreisedatum rückt, desto entspannter werden wir aber wieder – wir haben getan, was wir konnten, alles andere entscheidet der Berg. Die Ausrüstung ist schnell zusammengestellt. Unsere Einräder mit den dicken Offroad-Reifen, welche die einzige Federung darstellen. Einräder haben keinen Rücktritt und auch keinen Leerlauf, treten muss man ständig, auch bergab. Zur Unterstützung unserer Beinmuskeln montieren wir Bremsen unter die Sättel. Dazu kommen der obligatorische Helm, Knie- und Schienbeinschoner sowie Handschuhe mit verstärkten Handgelenken. Die kurze Sportkleidung am Körper mal zwei, plus Fleece, Regenjacke und Regenhose. Bergschuhe ziehen wir direkt an. Die Toilette wird auf Zahnpasta und Zahnbürste reduziert. Wir rechnen mit 50 Euro pro Tag für Essen und Übernachtung. Für unterwegs gibt es Energieriegel. Wasser kommt aus der Trinkblase im Rucksack. Pass und Alpenvereinsausweis nicht vergessen. Das nötigste Werkzeug, Ersatzschlauch und -bremse. Erste Hilfe. Hüttenschlafsack. Ein Satz Wanderkarten. Und obendrauf die beste Spiegelreflexkamera, die wir auftreiben können. Mit unseren randvollen Tagesrucksäcken kommen wir uns sehr abenteuerlich vor.

DIE ETAPPEN
In Füssen starten wir frohen Mutes, mit Blick auf Neuschwanstein. 30 km und 1500 Hm erwarten uns pro Tag. Jeden Tag mehr als eine Zugspitze, für die wir damals zwei brauchten. Na dann los, hoch den Berg, rüber nach Österreich. Die Sonne scheint, unseren ersten Gipfel nehmen wir kaum wahr, schon sausen wir in einem steinigen Flussbett den Berg wieder hinab. Wir freuen uns wie die Könige, als wir einen Mountainbiker überholen. Jetzt das Tal durchqueren und 900 Hm hinauf zur Gartner Alm. Wanderer rufen uns kopfschüttelnd hinterher: »Fehlt nur noch einer, der auf dem Kopf hüpft.« Das Tal zieht sich. Wir stärken uns mit Gulaschsuppe. An einer Gabelung nehmen wir zielstrebig den Weg nach oben zum Gartner Joch. Es dämmert schon. Eine Stunde später sind wir am Gipfel, wo sich ein gähnend leerer Platz erstreckt. {Merke: Joch ist nicht Alm.}

Eigentlich müssen wir auf den Nachbar-Berg. Wieder im Tal beschließen wir, dass es keine gute Idee ist, um 21 Uhr einen Berg zu besteigen. Schweren Herzens suchen wir uns ein Zimmer. Kein guter erster Tag. Stephanie hat so wenig Energie übrig, dass sie beschließt, am Morgen mit dem Zug nach Hause zu fahren. David verspricht, die nächsten Tage werden kürzer. Also spielen wir Schnick-Schnack-Schnuck um die Dusche, hängen die Socken auf den Balkon und schlafen auf dem Rücken ein – weil die Oberschenkel so schmerzen, dass auf dem Bauch liegen unmöglich ist. Noch im Halbschlaf bringt der Morgen zwei Dinge: Muskelkater. Nein, Muskeltiger. Und Regen. Viel Regen. Wir wissen, das ist Teil des Abenteuers, stülpen Regenjacke und Regenhose über. Der Wanderweg ist eher ein Gebirgsbach. Die Funktionskleidung klebt auf der Haut. Die Schultern sind dank Rucksack so verspannt, dass es sich anfühlt, als ob jemand einen Nagel hineinsticht. Aber irgendwann sind wir oben und werden mit einer traumhaften Abfahrt in vulkanartigem Gelände belohnt. Der Regen hört auf. Wieder beginnen wir den Aufstieg viel zu spät. Als sich die Konturen um uns herum langsam in einheitliches Schwarz auflösen, wuchten wir unsere Räder über den letzten Fels und stehen plötzlich auf einem breiten Feldweg. Die Wirtin der Armelenhütte schlägt vor, unsere nasse Unterwäsche in der Küche neben dem Ofen aufzuhängen. Wir raten ab, sie besteht darauf. Umhüllt von einer unglaublichen Stille fallen wir ins Bett.

Ähnlich vergehen die nächsten zwei Tage. Am Ende des vierten Tages haben wir es durch das Inntal und das Ötztal bis über das Timmelsjoch geschafft. Ein Pass, der nur drei Monate im Sommer geöffnet ist. Dementsprechend gruselig sind Gästehaus und Wirtin. Am Morgen erwachen wir mit dem besten Alpenpanorama direkt vom Bett aus. David lacht uns beim Frühstück gut gelaunt entgegen: »Heute wird es eine leichte Tour. Um 16 Uhr sind wir da.« Wir verlassen die gut ausgetretenen Wanderwege, tauchen in eine Welt aus saftigem Moos, Fels und Murmeltieren. Die einzigen Menschen sind winzig klein in der Ferne. Dafür lernen wir, wie man Kühe mit lautem Gebrüll und drohenden Gebärden vom Weg verjagt. Dort, wo es nicht mehr höher geht, beginnt der Touristensteig. Der heißt so, um unwissende deutsche Touristen in den Abgrund zu locken. Einen halben Meter neben uns ist die Welt zu Ende. Alles, was wir sehen, ist Nebel. Darüber sind wir allerdings ganz froh, laut Karte geht es dort 300 m senkrecht hinunter.

Als David am Nachmittag auf den am weitesten entfernten Berg zeigt und verspricht, dass wir bald da sind, überlegen wir, die Etappe abzubrechen. Allerdings ist das nicht möglich, das nächste Dorf ist weiter entfernt. Es beginnt zu schneien. Stephanie flucht in Richtung David, Lutz lacht über die harmlosen Schimpfwörter und David geht wohlweislich 100 m weiter vorne. Irgendwann sehen wir die Lichter der Hütte. Während wir in Rekordzeit Kaiserschmarrn und Weizenbier in unsere Bäuche befördern, sind wir überzeugt davon, dass wir es keine 100m weiter geschafft hätten.

Die letzten zwei Tage vergehen »normal«. Wir sind in Italien. Die Bremsen allerdings haben Schnee und Eis nicht überlebt. Die letzten Abfahrten sind doppelt so anstrengend, die Knie schmerzen. Irgendwie geht es aber immer, das wissen wir inzwischen.

DAS ZIEL
Der letzte Aufstieg ist nicht weniger steil oder schweißtreibend. Allerdings soll David heute Recht behalten – wir erreichen die Hütte früh. Alles ist normal, irgendwie unspektakulär. Keine jubelnden Fans oder Reporter. Wir sind müde. Essen. Gehen schlafen. Am Morgen fahren wir den Berg hinunter. Dann ist da eine Stadt, Meran. Sieht sehr italienisch aus. Ein seltsames Gefühl, Zug oder Auto sind wir nicht gefahren und trotzdem so weit weg von zu Hause. Wir schlagen uns etwas verloren zum Bahnhof durch, setzen uns in den Zug und haben noch nicht ganz begriffen, dass wir nicht mehr aufs Rad steigen und Berge erklimmen. In wenigen Stunden fahren wir dahin, wo wir vor einer Woche losgegangen sind. Die Erinnerung daran scheint wie aus einer anderen Zeit.

Die Moral von der Geschicht‘:
No 1 » ES IST MÖGLICH.
No 2 » HÜTTENWIRTE GEHEN FRÜH SCHLAFEN.
No 3 » MAN KANN 13 STUNDEN AM TAG SPORT MACHEN.
No 4 » ZÜNFTIGE MAHLZEITEN SIND BESSER ALS MÜSLIRIEGEL. No 5 » WAS MACHEN WIR ALS NÄCHSTES?

LUTZ EICHHOLZ UND STEPHANIE DIETZE (beide *1986) kennen sich von nationalen und internationalen Einrad-Wettkämpfen, seit sie 12 sind. Beide sind mehrmalige Deutsche und Weltmeister. Lutz hält einen Guiness-Rekord und hat in Marokko den höchsten Drop (engl. für Absprung oder Fall) auf einem Einrad gelandet. Mittlerweile haben sich die beiden auf Offroad-Einradfahren spezialisiert, reisten mit ihren Einrädern durch Neuseeland, auf die Zugspitze und über die Alpen. Lutz hat durch weltweite Fernsehauftritte sowie Sponsoren wie Adidas Outdoor sein Hobby mittlerweile zum Beruf gemacht. Stephanie erklimmt rund um Berlin alles, was auch nur im Entferntesten aussieht wie ein Berg. (lutzeichholz.de; stephaniedietze.de)

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