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‚Im eigenen Licht‘ – Menschen mit Albinismus in Deutschland

Päng! stellt euch mutige Menschen mit außergewöhnlichen Projekten vor, die nicht nur beeindruckend, sondern auch richtungsweisend sind. Heide Prange ist so ein Mensch und erzählt uns von ihrem Herzensprojekt »Im eigenen Licht«, in dem sie Menschen mit Albinismus in Deutschland portraitiert hat. Die Kunst darf anders sein, sie zeigt oft ungewöhnliche Sachen, um gesellschaftliche Denkprozesse in Frage zu stellen. Mit ihren Fotoserien über Gesellschaftsgruppen, die aus der Reihe fallen, hat sie für sich einen Weg gefunden, mit anderen in Verbindung zu treten und gleichzeitig ein paar Vorurteile aus dem Weg zu räumen.

TEXT & FOTOS Heide Prange

Menschen mit Albinismus leben in vielen afrikanischen Ländern gefährlich. Seit ein paar Jahren gehen erschreckende Nachrichten von Ritualmorden durch die Medien. Nachdem zwielichtige Wunderheiler und vom Aberglauben getriebene Fanatiker behaupteten, dass die Gliedmaßen von Albinos Reichtum, Glück und Macht bringen würden, machen die Kriminellen regelrecht Jagd auf die Menschen mit der bleichen Haut und den hellen Haaren. Sie werden gejagt, verstümmelt und getötet.

NICO, 13 JAHRE
›Viele denken sich, blind gleich doof.‹

Weltweit tritt Albinismus mit einer Häufigkeit von 1:20.000 auf. In Deutschland leben um die 5.000 Menschen mit Albinismus. Wie ergeht es den Betroffenen in Deutschland? Inwiefern spielt Albinismus eine Rolle in der deutschen Gesellschaft? Wie geht man mit dem eigenen Ich um, wenn man durch sein Äußeres aus der Masse fällt? Vor diesem Hintergrund habe ich mich aufgemacht und bin im Herbst 2010 im Rahmen meiner Abschlussarbeit in Fotografie quer durch Deutschland gereist, um Menschen mit Albinismus zu befragen.

MAN WIRD VON ANDEREN DAS GANZE LEBEN ANDERS GEMACHT.

Zunächst einmal: Die Diskriminierung und Ausgrenzung Betroffener ist in keinem Fall so fanatisch ausgeprägt wie in afrikanischen Ländern. Der Pigmentmangel ist hierzulande deutlich weniger auffällig, weißblondes Haar und graue oder blaue Augen können hier auch bei nicht albinotischen Menschen vorkommen. Dennoch unterscheidet sich der Alltag der Betroffenen in Deutschland von Menschen ohne den Gendefekt. Von vielen ernten sie interessierte und faszinierte Blicke. Genaueres über den Albinismus weiß man oftmals nicht – nur dass die meisten Betroffenen besonders helle Haare haben.

GUCK MAL DIE WEISSEN, GUCK MAL SCHNEEMANN, DER TOD.

Dass Albinismus mehr ist, als nur hellere Haut zu haben und im Sommer nicht braun zu werden, sondern immer auch eine sehr starke Sehbehinderung mit sich bringt wissen die wenigsten. Die Sehkraft bei vollständigen Albinismus liegt bei etwa 10 Prozent. Schon in der Schule erregt ein großes Lesegerät auf dem Tisch neben einem Albinismus-betroffenen Kind viel Aufmerksamkeit. In jeder Klasse sitzen die Kinder mit Albinisums in der ersten Bank, um an der Tafel noch etwas erkennen zu können. Ausgiebig in der Sonne spielen ist ohne starken Sonnenschutz nicht ungefährlich. Mit Spitznamen wie »Weißkohl«, »Schneemann« oder »der Tot« so leichtfertig umzugehen und drüberzustehen ist für betroffene Kinder nicht einfach. Auch im Sportunterricht ist man benachteiligt, besonders Ballsportarten sind vielen ein Gräuel. Aufgrund des oft fehlenden dreidimensionalen Sehens und der fehlenden Sehkraft ist es unmöglich, einen fliegenden Ball in der Ferne zu erkennen. Einige Kinder gehen daher auf Sehbehinderten-Schulen, an denen das Lernen ihren Bedürfnissen angepasst ist.

HEINZ, 57 JAHRE
›Sag du hallo, wenn wir uns wieder sehen, ich erkenn dich nicht wieder.‹

Nach der Schule steht einer Person mit Albinismus die Frage nach der Berufswahl leider auch nicht völlig offen. Es gibt Einschränkungen, Berufe, die man nicht erlernen darf, weil einem das vorausgesetzte scharfe Sehen fehlt. Schon der Verzicht auf den Führerschein, den man nur erlangen kann, wenn die Sehkraft bei über fünfzig Prozent liegt, der somit für Betroffene ausgeschlossen ist, schränkt natürlich die Mobilität und das öffentliche Leben ein. Im Kino sitzt man oftmals in den unbeliebten vorderen Reihen, im Supermarkt ist es einem kaum möglich, die Preisschilder aus der Entfernung zu lesen, in der sie angebracht sind, und auch die Anzeigetafel der Bahn ist nur mit einem Hilfsmittel zu lesen oder wenn man konzentriert direkt darunter steht.

MAN INSTRUMENTALISIERT, DASS DER ALBINISMUS SCHULD IST AN ALLEM MÖGLICHEN, ABER DAS SIND GEDANKENKONSTRUKTE, DIE MAN SICH SELBST BAUT.

Viele Sachen im Alltag setzt man einfach voraus, unmöglich erscheint es einem, diese nicht wahrzunehmen oder tun zu können. Etwas nicht tun zu können oder etwas nicht genau so zu sehen wie die Mehrheit um einen herum grenzt natürlich aus, das bekommt eine Person mit Albinismus immer wieder zu spüren. Wie ich in Gesprächen mit Betroffenen festgestellt habe, ist nach wir vor Integrationsarbeit nötig, weil in den Köpfen der Menschen immer noch ein verklärter Blick auf die nach außen »andersartigen Menschen« vorherrscht und man eine Person mit Albinismus eher fasziniert anschaut, als sie als normal zu betrachten. Die Unterscheidung zwischen »normal« und »anders« erwächst aus gesellschaftlichen Ansichten, die einem in der Erziehung mitgegeben, aber auch durch das gesellschaftliche Umfeld geformt werden, über das man aber immer noch selbst zu bestimmen hat. Bedeutet das »sich unterscheiden von anderen« nicht auch etwas Positives, dass man sich eben nicht jeder Meinung gleich anschließt, sondern dass man auch eine eigene Meinung vertritt?

AM BESTEN IST ES WIRKLICH, WENN MAN ES MIT SICH AUSMACHT, WENN MAN SICH SEINEN EIGENEN WEG SUCHT UND SICH NICHT DARAUF VERLÄSST, ANDERE WERDEN MICH AKZEPTIEREN UND INTEGRIEREN. MAN MUSS DAS SELBER MACHEN.

Jeder Mensch ist individuell, das bedeutet eben auch, dass das »Optisch-aus- der-Reihe-Tanzen« normal ist. Ihr außergewöhnliches Aussehen zu Nutze gemacht haben sich Connie Chiu, Shaun Ross und Diandra Forrest, alle drei sind Models, alle drei haben Albinismus und sind wahrscheinlich aus diesem Grund berühmt. Shaun Ross, 20 Jahre alt und nach eigenen Angaben »das erste männliche afroamerikanische Albino-Model der Welt«, der früher selbst mit Spitznamen wie »Casper« und »Powder« gehänselt wurde. Heute ist er in Magazinen zu sehen, läuft auf der New Yorker Fashion Week und in Paris und wird immer noch angestarrt, nur dass er heute damit sein Geld verdient und bewundert wird.

KERSTIN, 28 JAHRE
›Ich bin im Moment in einem Hoch mit mir selbst.
Ich hab auch schon Tiefs gehabt, aber das ist kein Albino-Problem.‹

Ross ist zwar bisher größtenteils in der Modeszene bekannt, so reicht dies aber schon aus um mit seinem Namen für ein freies Leben für Menschen mit Albinismus zu werben – mit National Geographic arbeite er an einem Projekt gegen den Aberglauben, so Ross in einem Interview. Models wie er repräsentieren ein anderes Selbstverständnis dem Albinismus gegenüber und zeigen, dass es auch »cool« sein kann, sich gerade durch sein Äußeres von anderen zu unterscheiden.

LISANNE, 13 JAHRE
›Wenn was gesehen wird, was ich nicht sehe, bin ich manchmal ein bisschen traurig.‹

Unsere Gesellschaft ist geprägt von unterschiedlichen Gruppierungen, verschiedenen Sprachen und Kulturen, Menschen, denen es besser geht als anderen, Menschen, denen es viel schlechter geht. Jeder Mensch will immer be- sonders sein, sich von anderen abheben, kein kleiner Fisch unter vielen sein. Wenn aber eine Person wirklich durch besondere äußerliche Merkmale aus der Menge heraussticht und nicht durch beispielsweise materielle Werte, die anderen imponieren, so verhalten sich viele Menschen erst einmal skeptisch und intolerant. Sie können das Neue, »das Andere« nicht sofort einordnen in ihre Sicht der Dinge. Dinge oder Tatsachen zu ignorieren bedeutet weniger Zeitaufwand, als Interesse zu offenbaren und neue Dinge zu lernen. Neue Dinge, die vielleicht sogar die eigene Sicht verändern würden.

INTEGRATION BEGINNT IM KOPF.

Wer aufgeschlossen seiner Umwelt gegenübertritt und sich seine eigene Meinung über die Dinge bildet, kann ein Stück weit der Diskriminierung von Minderheiten in der Gesellschaft entgegenwirken. Aber vielleicht darf man gar nicht hoffen, dass sich das Denken der Menschen ändert, sondern sollte sich zunächst eine Sensibilisierung der Denkweise der Menschen wünschen. Wenn man selbst offen ist, sich und seine persönliche Sicht der Dinge zu überdenken, ist man auch offen für das anders Schöne.

H E I D E P R A N G E(*1985) hat im Januar 2011 ihren Abschluss BA Fotografie an der FH Dortmund im Fachbereich Design gemacht.
Mehr Infos zu ihren Projekten gibt es unter: www.heideprange.de

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