Der Brite Andy Ganner machte irgendwann genau das, wovon viele träumen: 1997 schnappte er sich sein Fahrrad und fuhr damit monatelang quer durch die Weltgeschichte: Hongkong, Taiwan, China, Südamerika. Irgendwann landete er in Düsseldorf, wo er eine kleine Sprachschule eröffnete. Wenn ihn heute das Fernweh packt, überlässt er das Geschäft seinen Angestellten und macht sich mit Rad und Zelt auf den Weg. Ein Gespräch über Supermarkträder und Friedhofsübernachtungen.
V O N Silke Mayer
WAS IST DEIN ERSTES RADFAHRERLEBNIS, AN DAS DU DICH ERINNERN KANNST?
Mit etwa 14 bin ich in einen Nationalpark gefahren, ungefähr 20 Meilen entfernt. An diesem Tag begriff ich, dass ich unabhängig, ganz für mich alleine wunderbare Plätze aufsuchen konnte, während mein Vater den Rest der Familie im Auto herumkutschierte. Mit dem Erlangen des Führerscheins ließ mein Interesse am Radfahren allerdings ziemlich nach.
WIE KAM ES DANN ZU DEINER ERSTEN WIRKLICHEN RADREISE?
Durch Zufall. Irgendwann fand ich vor dem Haus ein herrenloses Fahrrad. Etwa zur gleichen Zeit entdeckte ich, dass ich allmählich einen Speckbauch bekam. Also fing ich wieder an. Mein erster richtiger Trip folgte dann um die Orkney Islands herum. Das war 1995. Im Jahr darauf war ich schon mutiger und unternahm meine erste Auslandstour zu den Färöer Inseln.

UND VON DA AN HATTE DICH DAS RADFIEBER IM GRIFF?
Genau. 1997 habe ich sogar meinen Job aufgegeben, eine Reinigung, die ich einer Freundin überließ. Ich flog dann mitsamt meinem Fahrrad nach Neuseeland, um Freunde zu besuchen, die ich auf einer Backpackingtour in den 80ern kennengelernt hatte und blieb 9 Monate da.
WAS KAM DANACH?
Zurück in England schrieb ich mich an der Universität ein und unternahm während der Semesterferien immer längere Trips durch Europa, die jedes Mal direkt vor der Haustür meiner Eltern in Stoke begannen, bei denen ich während des Studiums wohnte.

WOHIN FÜHRTEN DICH DIESE REISEN?
1998 nach Sarajevo, ein Jahr später nach St. Petersburg, über Polen, Weißrussland, Finnland und Norwegen. 2000 war ich unterwegs nach Spanien und bereiste dabei auch Deutschland, Tschechien und Österreich, die Schweiz, Italien und Frankreich. Auf dem Weg reifte ein großer Plan: eine Radtour nach Singapur über Sibirien. 2001, als ich mit meinem Studium fertig war, ging es los.
WARST DU IMMER ALLEINE UNTERWEGS?
Vor der Singapur-Reise machte ich alle Touren alleine. Allerdings bedauerte ich irgendwann, dass ich mit niemandem Erinnerungen tauschen konnte. Also beschloss ich, für die Reise 2001 nach Mitstreitern zu suchen, und fand zwei Engländer und einen Amerikaner. Alles in allem war der Trip ein riesiger Erfolg. Nach zehn Monaten und 20.000 Kilometern erreichten wir Singapur. Danach haben wir uns regelmäßig getroffen und Geschichten ausgetauscht.

INWIEWEIT HAST DU DEINE REISEN VORHER DURCHGEPLANT?
Die meisten Trips fanden einfach so, ohne große Planung, statt. Natürlich war für die Singapur-Reise eine gewisse Vorbereitung nötig, immerhin brauchte man da ein paar Visa und bestimmte Impfungen.
WO HAST DU AUF DEINEN RADTOUREN ÜBERNACHTET?
Im Zelt. Campen ist fast überall möglich. Die besten Plätze sind übrigens – wenn auch nicht ganz legal – Friedhöfe, weil es da immer flachen Boden gibt, Wasser und Ruhe in der Nacht. Natürlich mag ich es auch, ab und zu in Hostels zu übernachten, wo man sich frisch machen kann und seine Wäsche waschen. Ziemlich oft wird man übrigens auch von Leuten, die man unterwegs kennengelernt hat, nach Hause eingeladen.

HATTEST DU NIE ANGST, ÜBERFALLEN ZU WERDEN?
Wenn du anfängst, Dinge zu fürchten, wirst du nie deine Komfortzone verlassen. Auf meinen Trips habe ich Hunderte anderer Radfahrer getroffen. Wir haben uns über alles Mögliche unterhalten, unsere Verdauung, den Zustand der Strecke und über die Leute, die wir getroffen hatten. Aber ich habe niemals eine einzige Geschichte gehört von einem Radfahrer, der überfallen worden war. Davon abgesehen: Was gibt es schon zu stehlen? Ein verdrecktes Fahrrad und Taschen mit trockenen Lebensmitteln und müffelnden Klamotten.
APROPOS LEBENSMITTEL UND VERDAUUNG: GAB ES GESUNDHEITSBESCHWERDEN?
Klar. Hauptsächlich Magenprobleme, was natürlich vom fremden Essen kommt und manchmal auch vom Wasser. Je älter ich werde, desto weniger Magenprobleme habe ich aber. Auf meiner letzten Tour durch Südamerika habe ich fast nur Wasser aus dem Hahn getrunken und hatte überhaupt keine Schwierigkeiten.

UND WIE STEHT ES MIT FAHRRADPROBLEMEN?
Nichts, was nicht irgendwie zu handhaben gewesen wäre. Meine Empfehlung: Besorg dir ein billiges Standardbike aus dem Supermarkt. Verändere ein paar Kleinigkeiten wie Sitz, Gänge und Reifen. Nimm einen stabilen Gepäckträger für vorne und hinten, pack das Rad voll und fahr los. Für so ein Fahrrad bekommst du Ersatzteile auf der ganzen Welt.
WIE WAR ES DIR BEI ALLTAG UND ARBEIT MÖGLICH, SO VIEL ZU REISEN?
Viel Reisen ist für jeden möglich. Die meisten Leute setzen nur ihre Prioritäten anders.

HEUTE BETREIBST DU EINE SPRACHSCHULE IN DER DÜSSELDORFER ALTSTADT. WIE VEREINBARST DU DIE TOUREN MIT DEINEM GESCHÄFT?
Es ist natürlich etwas komplizierter, wenn man ein Geschäft besitzt, aber ich bekomme es hin, jedes Jahr zwei Wochen durch Mallorca zu radeln und alle zwei Jahre eine größere Reise zu unternehmen. Vor der Abreise übergebe ich einfach die Arbeit an zuverlässige Leute. Wenn ich dann auf Reisen bin, habe ich kein Mobiltelefon und keinen Laptop dabei. Nur ein Notizheft, in dem ich meine Erfahrungen festhalte. Ganz ehrlich: Wenn in der Schule etwas schiefläuft und ich höre davon in den Anden – was kann ich denn tun? Ab und zu checke ich aber meine E-Mails, wenn ich die Gelegenheit dazu habe.
BENUTZT DU DEIN FAHRRAD AUCH IM ALLTAG?
Ich fahre jeden Tag mit dem Rad zur Arbeit, egal wie das Wetter ist. Von zuhause bis zur Sprachschule sind es 18 Kilometer. Radfahren ist meine tägliche Fortbewegungsart, Fitnessstudio und Hobby in einem. Schon 1995 hatte ich entschieden, mein Auto abzugeben und mir ein neues Rad zu kaufen. Das Geld, das ich dadurch gespart habe, hat mir locker viele Reisen finanziert. Nicht, dass ich gegen Autos wäre, aber wenn ich einen Wagen brauche, dann miete ich einen. Das ist billiger, als ein Auto zu besitzen, und man bekommt immer ein neues Modell.

WAS IST FÜR DICH DER GROSSE REIZ AM REISEN MIT DEM RAD?
Das Gefühl, dass man sich selbst zum Ort einmaliger Erlebnisse transportiert. Das Gefühl bekommt man bei keiner anderen Art des Reisens, außer vielleicht beim Wandern oder Kajakfahren. Toll ist auch, dass man den Einheimischen wirklich dort begegnet, wo sie leben. In jedem Land habe ich Menschen auf Fahrrädern gesehen. Als Radfahrer war ich für sie eine Person, zu der sie direkt einen Bezug hatten und mit der sie kommunizieren konnten. Reisen per Rad löst alle sozialen Barrieren auf.
SCHON MAL EINE PAUSCHALREISE GEMACHT?
Ja, einmal. 1995 in einer Hotelanlage auf Zypern. Es war schrecklich für mich. Nach der ersten Nacht habe ich meinen Rucksack geschnappt, bin um die Insel getrampt und habe den Rest des Urlaubs bei fremden Familien in Nicosia und im Norden verbracht.

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