Text Louise Kant* _ Foto Gili Shani
To be brainfucked – negativ behaftet und im Wahrheitsgehalt völlig unterschätzt. Der »gefickte Geist« trifft es in der Tat auf den Punkt genau: Sex ist Kopfsache! Ich denke, jeder kennt das: Spielt der Wille nicht mit, sind die Geschlechtsorgane nicht ansprechbar. Ist das Kopfkino aber erst einmal angeschmissen, reicht ein zarter Lufthauch am Nacken durch den oder die Angebetete(n) und man meint innerlich zu explodieren. Auch lassen sich alte ekstatische Ficks mit dem Ex-Lover nicht reproduzieren, wenn in der Zwischen- zeit die eigene Seele unter dem schaurigen, lächerlichen oder verletzenden Verhalten des ehemaligen (Bett-)Partners gelitten hat. Ich bin der Meinung, dass wir uns oft unserer Willenskraft und unserer schillernden Fantasie beim Sex gar nicht bewusst sind. Ich selbst war es schließlich auch nicht immer.
Für diese Szene recht früh stolperte ich als Studentin mit 21 Jahren auf der Suche nach einem Nebenjob zufällig in einen bekannten Berliner SM-Club in Kreuzberg. Ich war finanziell abgebrannt und neugierig, also lag nichts näher, als meinen Geldbeutel mit der Arbeit als Barmädchen dort ein bisschen aufzufüllen. Die eher freizügige Arbeitskleidung war mir nicht fremd. Bereits als GoGo-Tänzerin in verschiedenen Clubs war ich es gewöhnt, ein wenig mehr nackte Haut zu zeigen. Der Rest dieser burlesque-hedonistischen Welt war mir anfangs völlig unbekannt. Es kam, wie es kommen musste: Die Arbeit machte mir Spaß, die Feierabende luden zu frivolem Spiel ein und lockten mich mit »bösen« Orgasmen! Ich fand Gefallen am erlebten Schmerz und verliebte mich in das Gefühl von po- liertem Latex auf der Haut. Und ich entdeckte eine anfangs subtile, später allumfassende Lust an physischer Erniedrigung und körperlicher sowie geistiger Selbstaufgabe meinem Herrn gegenüber.
„Für mich gibt es nur sehr wenige Männer, welche die Eigenschaft haben, sich eine Frau psychisch zu Eigen zu machen.„
Ich fühle mich sowohl zu Männern als auch Frauen hingezogen. Eine Frau, die mich dominiert, kommt für mich dennoch nicht in Frage, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass Frauen bei mir diese sonderbare Tiefe der Selbstaufgabe nicht hervorrufen können. SM ist, wie alle Dinge zwischen zwei Menschen, Vertrauenssache. Aber hier ist sie ein Stück weit mehr, weil man gemeinsam Grenzen festsetzen und überschreiten kann, welche als solche vorher keine Bedeutung hatten. Aber Dominanz ist nicht gleich Dominanz. Für mich gibt es nur sehr wenige Männer, welche die Eigenschaft haben, sich eine Frau psychisch zu Eigen zu machen. Und so gleicht es einer Suche nach der Nadel im Heuhaufen, wenn ich mit großen Augen am helllichten Tag durch die Fußgängerzone laufe, mit Einkaufstüten in der Hand, und sehnsüchtig darauf hoffe, dem einen männlichen Phänotyp mit Christoph-Walz-Effekt zu begegnen, der mich mit einem kühlen, stechenden Blick auf die Knie gehen lässt.
Ich befinde mich auf einer stetigen Suche nach Spiritualität und Ursprünglichkeit, gewissermaßen nach dem Einklang mit mir und der Natur. Das stieß meine Aufmerksamkeit früh auf Suspensions (zurückzuführen auf ein altes, indianisches Ritual) und Bodymodifications. Bei der Suspension werden Edelstahlhaken durch die Haut gestochen, an welchen man dann über Seile in die Höhe gezogen wird. Meine erste Suspension wagte ich erst im vergangenen Jahr und ich empfand sie als unbeschreiblich schön und bereichernd. Natürlich auch schmerzhaft, aber ein Schmerz mit Suchtfaktor für mich – wie für andere das Tätowieren. Das Schweben ist ein Zustand vollkommener Glückseligkeit und innerer Ruhe. Es eröffnet dir neue Pfade deines Bewusstseins.
Aber auch der Freak in mir hat mal Pause und so bin ich auch nur ein ganz normales Mädchen, welches die Liebe sucht und auch gefunden hat. Und das ist in meinem Fall ein Mensch mit viel Verständnis und Vertrauen, der meine Umtriebigkeit und Exzentrik als Teil von mir angenommen hat und dies im gewissen Sinne auch an mir liebt. Wenn wir ehrlich sind, kann kein Partner alle ersehnten Facetten bedienen. Eine limitierte Offenheit gegenüber anderen Sexualpartnern, welche auf Absprachen und starkem Vertrauen zum festen Partner basiert, könnte meines Erachtens nicht nur so manche Beziehung vor dem Aus retten, sondern auch einen enormen Gewinn für die Verwirklichung des eigenen Ichs darstellen.
*LOUISE KANT steht zu sich, aber bleibt trotzdem gern unbekannt. Deshalb zeigt die 26-jährige Jura-Studentin aus Potsdam uns lieber Bein statt Gesicht.
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