PÄNG!TRIP

Daumen hoch

Anna und Josephine haben einen Plan. Sie wollen durch Frankreich trampen. Nach einem halben Jahr gemeinsamer Erasmus-Zeit in Barcelona sehen sie sich in der Lage dazu. Also packen sie kurzerhand ihre Siebensachen und ziehen los. Im Gepäck: 20 Tage Zeit und 200 Euro Budget.

V O N Anna Carada & Josephine Sowah

DER PLAN

Wir telefonieren. Wenn man sich für ein halbes Jahr gegenseitig die Bezugsperson im Alltag war, gibt es auch danach viel zu erzählen. Heute geht es um Urlaub. Den wollen wir im Sommer gemeinsam verbringen. Einmal im Jahr zusammen verreisen, ein Freundschaftsritual. Wo soll es hingehen? Anna sagt: »Weißt du, so ganz ehrlich, irgendwie will ich einfach los.« Ich antworte: »Sollen wir trampen, oder was?« Sie lacht. Zwei Wochen später telefonieren wir wieder – diesmal soll es konkreter werden. Ich erzähle ihr, dass mich alle wegen unseres Plans für verrückt erklären. Anna ist entspannt.

DIE VORBEREITUNG

Anna kommt zu mir. Und muss ihren Rucksack nach Anweisung erst mal neu packen. Fast die Hälfte ihrer Klamot- ten landet auf meinem Bett. Schließlich wollen wir unsere Fahrer nicht erschlagen und unsere Rücken ebenso wenig. Der kleinere Stapel kommt mit.

Wir überlegen, wie viel Geld wir mitnehmen. 10 Euro am Tag? Mein Freund im Hintergrund muss schmunzeln. Als ob man damit in Schwierigkeiten geraten könnte. 20 Tage haben wir Zeit. 21 Tage später ist mein Geburtstag. Braun gebrannt wollen wir zurückkommen. Und französisch sprechend. Ob wir Erfolg haben? Wir werden sehen. Letztes Frühstück, Abschiedskuss, viel Spaß gewünscht. Wir satteln die Rucksäcke und brechen auf. Unten fällt uns auf, dass wir Annas Auto noch umparken müssen. (Sollen wir doch mit dem Auto fahren?)… Eine Woche davor hatte ich im Internet geschaut, wo man in Stuttgart am besten trampt. Die letzten Einträge stammen von 2003. Wir fahren mit der U-Bahn zur empfohlenen Tankstelle kurz vor der Autobahn. Und dann stehen wir da.

DIE ETAPPEN

Das erste Mal Daumen-Raushalten ist hart. Schnick, schnack, schnuck, – wer muss als Erstes? Es ist irgendwie peinlich. »Was, wenn mich jemand kennt?« Wir brechen ab und setzen uns nochmal in Ruhe hin. Bei Zigarette und Kaffee kann alles besprochen werden. Drei Tramp-Regeln werden aufgestellt: 1. nicht bei mehreren Typen einsteigen, 2. keine Trucker, 3. nie gleichzeitig Daumen raus, das ist kräfteschonend und wirkt nicht anstoßend (– reden wir uns ein).

Die Blicke in Stuttgart sind strafend und irritiert und alles andere als interessiert. »Hach ja, die Deutschen«, sagen wir. Dass sich an den Blicken auch später nichts ändern wird, wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. 20 Minuten später: »Sollen wir noch ein Stück vorlaufen?« Von hinten hupt es und unser erster Fahrer hält an. Marcel, Truckerfahrer. Gleich mal die Regeln gebrochen. Marcel ist entspannt, bietet uns ’ne Coke an und macht sein Ding. Wir drehen voll auf und verstehen die Welt nicht mehr, was gegen Trucker spricht. Alle Pläne verworfen, wir sind die Königinnen der Straße.

Drei Stunden später sind wir in Frankreich, 3 Tage später in der Bretagne am Meer. Bevor es losging, stellten wir uns bunte Surfer-Hippiebusse vor, die mit uns die Küste entlangdüsen. Zur Küste bringen uns: eine Mutter mit Kind, zwei Krankenschwestern, zwei lesbische Mittvierziger, ein Polizist, ein Französischlehrer, ein Postangestellter, ein Handwerker und ein Senior. Am Meer angekommen fällt der erwartete Jubelschrei aus. Wir sind fix und fertig. Und nehmen die letzten Energiereserven zusammen, um uns den schönsten aller Campingplätze zu suchen – per Trampen keine leichte Aufgabe. Wir finden ihn – Le Diben in Larmor-Baden.

Endlich angekommen. Wir liegen und lachen und purzeln uns im Sand. Eine Woche später: Mein Geburtstag naht, die Rückfahrt beginnt. In 36 Stunden müssen wir zurück sein. Frohen Mutes machen wir uns auf – und alles, was vorher entspannt und unverhofft einfach war, holt uns in dieser letzten Etappe auf. Stundenlanges Warten. Nachts im Regen auf der Straße stehen. Horrorfilm-Sequenzen-ähnliche Fahrer.

DIE HEIMKEHR

In der letzten Nacht haben wir noch genau 13 Euro übrig. Wir hatten es uns gut gehen lassen. Milchkaffee und Schokocroissant zum Frühstück war Pflicht. Abends Ravioli und Tetrawein sowieso. Wir betteln und quälen uns und kommen 24 Stunden später vor der Haustür an. Als wir die Treppe zu meiner Wohnungstür hochlaufen – dunkelbraun gebrannt mit sich leicht schälenden Schultern, – werfen wir uns abwechselnd unsere neu gelernten französischen Wörter zu: autoroute, paysage jolie und comme ci comme ça.

TRAMPEN IN ZAHLEN

200 Euro
42 Fahrer
20 Tage

19 Flaschen Vino Tinto
18 Packungen rote Gauloises
15 Milchkaffee mit Schokocroissant
10 Dosen Ravioli
5 Packungen Feta
4 Campingplätze
3 Übernachtungen in der Stadt

2-mal fett Sonnenbrand
1 schlaflose Nacht am Meer

Kein einziges Mal bereut.

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