HEREINSPAZIERT

Hier kostet alles nichts

Wohnen im Bauwagen. Unabhängig, frei und in Ruhe. Eine romantische Hippie-Idee oder ein ernstzunehmendes Wohnkonzept? Wir besuchten Anne in ihrem Bauwagen auf einem alten Bauernhof in der Nähe von Rostock, wo sie mit Freund und Tochter lebt. Im gemütlichen Ein-Zimmer-Zuhause plauderten wir über die Höhen und Tiefen des Landlebens auf engem Raum und warum sie vorhat, doch irgendwann ein Haus zu bauen.

INTERVIEW Stephanie Dietze _ FOTOS Caroline Scharff

DAS IST JA TRAUMHAFT HIER MIT ALL DEN WILD WUCHERNDEN BLUMEN.
HABT IHR ES IMMER SO SCHÖN?
Ja, im Sommer ist es ein Traum, hier zu wohnen. Gerade jetzt, wenn der Flieder blüht. Dann sind wir fast nur draußen und genießen den vielen Platz. Im Winter ist es schon knackiger. Da werden die Räume irgendwann eng und wir wünschen uns auch mal ins Bad gehen zu können, ohne raus zu müssen. Aber der Sommer reißt das wieder raus. Die Ruhe hier genieße ich sehr. Abwechslung kriege ich in der Stadt, wo ich jeden Tag in meiner Galerie arbeite. Hier hab ich die Natur und die Ruhe, in der Stadt Kultur und Menschen. Ich finde es perfekt, hier zu wohnen, so habe ich die Vorzüge von beidem.

»IN DER STADT KOSTET ALLES GELD, SELBST IM LIEGESTUHL IN DER SONNE SITZEN. HIER KOSTET DAS ALLES NICHTS, ICH KANN EIN EI VOM HUHN NEHMEN, WENN ICH WILL.«

AUF WIE VIEL PLATZ LEBT IHR? WIE SEID IHR AUSGESTATTET?
Im Bauwagen haben wir eine Küche, ein Schlafzimmer, einen kleinen Flur und ein kleines Wohnzimmer auf 16 qm. Anfangs habe ich den zweiten Wagen hier als Werkstatt für meinen Schmuck genutzt. Seit ich die Galerie habe, können hier Gäste unterkommen oder wir schauen abends mal einen Film, wenn die Kleine schon schläft. Es ist ganz schön, hier jetzt noch einen zusätzlichen Raum zu haben. Die Bauwägen haben wir einem Bauern aus der Gegend abgekauft, der früher seine Erntehelfer dort wohnen hatte. Sie waren sehr heruntergekommen, wir haben dann alles selbst neu gemacht und ausgebaut, die Fenster, die Isolierung und Öfen haben wir reingestellt, ganz wichtig im Winter. Vom Haus haben wir Wasser und Strom hergelegt, Internet kommt auch aus dem Haus. Wir kochen auf zwei Gasplatten oder im Winter auf der Küchenhexe, ist ja logisch, dass du dann nicht den Gasherd anschmeißt, wenn du eh heizt. Ganz toll ist im Sommer die Außendusche direkt am Wagen. Da kann man dann ganz frei, nur von der Natur umgeben, stehen und das Wasser auf sich rieseln lassen.

»ANFANGS WAREN DIE NACHBARN HIER SKEPTISCH. SIE WUSSTEN NICHT, WAS WIR HIER WOLLEN UND HABEN AUCH AB UND ZU DIE POLIZEI VORBEIGESCHICKT. […] DANN HABEN WIR SIE ZUM APFELFEST EINGELADEN, DAS WIR JEDES JAHR HER AUF DER OBSTWIESE MACHEN. NACH EIN PAAR BIER, SAGTE EINER:
»IHR SEID JA DOCH GANZ OKAY««

WIE KAMT IHR AUF DIE IDEE IN EINEN BAUWAGEN ZU ZIEHEN?
WIE HABT IHR DIESEN HOF GEFUNDEN?
Die Idee ist irgendwie aus der Not heraus geboren, wir haben in einem Haus auf dem Land gewohnt und mussten raus, da hatten Freunde gerade das Grundstück gekauft. Das Haus war unbewohnbar, also haben wir die Wägen auf das Grundstück gestellt. Wir wollten auch herauskriegen, ob es für uns okay ist, so zu leben. Jetzt leben wir hier zu siebt, dazu kommen vier Kinder. Der Wunsch von uns beiden war schon immer, frei, naturnah und ökonomisch zu leben. Ich würde mich nicht als Öko-Tante bezeichnen. Gar nicht. Eigentlich will ich nur einfach, normal, in Ruhe leben, ohne elektrischen Garagenöffner und solchen Schnickschnack. Ich hab für mich das Ziel, mit wenig zufrieden zu sein, mit wenig zu leben. Hier kann ich mich über eine Blume freuen und über das Reh auf der Wiese am Abend. Das finde ich sehr erfüllend, für mich ist das Luxus.

DU HAST FRÜHER ACHT JAHRE IN BERLIN GELEBT. KANNST DU DIR VORSTELLEN, WIEDER IN DER STADT ZU WOHNEN?
Ich denke, ich würde es genießen, Raum um mich zu haben. Gleichzeitig denke ich, was will ich in einer 100qm großen Wohnung, die muss ich doch nur putzen und verbrauche ohne Ende Strom. Man lässt ja doch immer mehrere Lampen an und dann muss die ganze Wohnung auch noch geheizt werden. Ich würde auch nie 600 Euro für Wohnraum ausgeben, das ist so viel Geld und ich würde das auch nicht wollen. Auf dem Land hast du mehr Möglichkeiten. In der Stadt kostet alles Geld, selbst im Liegestuhl in der Sonne sitzen. Hier kostet das alles nichts, ich kann ein Ei vom Huhn nehmen, wenn ich will. Auch wenn du pleite bist, kannst du den Tag hier genießen, dich in die Hängematte legen. Jeder Tag ist gleich schön. Außerdem haben wir so mehr Freiheit. Hier müssen wir nur Wasser und Strom abschalten, den Bauwagen zumachen und können dann monatelang reisen, ohne zuhause irgendwelche Kosten zu haben.

HAT EUCH DAS LEBEN HIER VERÄNDERT?
Du bekommst natürlich einen anderen Blick dafür, was du verbrauchst und wie du lebst. Was anderen gar nicht mehr auffällt, was sie so nebenbei machen, das kannst du nicht mehr verstehen. Wenn Besuch aus der Stadt da ist, siehst du Plastik im Bio-Eimer, Zigarettenstummel auf dem Rasen. In der Stadt verliert man das Bewusstsein dafür, man ist entfernt von der Natur. Hier musst du alles, was du ansammelst, auch wieder zurückbringen. Du musst auf die Mülltonne achten, dass du wenig Müll machst, weil sie sonst zu voll wird. Also gibst du Acht darauf, was du aus der Stadt herholst. Wenn ich Butter kaufe, achte ich darauf, wie sie verpackt ist, und nehme dann die mit weniger Verpackung.

WAS HÄLT EUER UMFELD VON EURER LEBENSWEISE?
Stefan, der gerade den Raum betritt: Anfangs waren die Nachbarn hier skeptisch, sie wussten nicht, was wir hier wollen, und haben auch ab und zu die Polizei vorbeigeschickt. Das war kurz vor dem G8 in Heiligendamm, wir hätten ja auch eine terroristische Zelle sein können (lacht). Dann haben wir sie zum Apfelfest eingeladen, das wir jedes Jahr hier auf der Obstwiese machen. Nachdem sie ein paar Biere mit uns getrunken hatten, sagte einer: »Ihr seid ja doch ganz okay.«

»IM BAUWAGEN HABEN WIR EINE KÜCHE, EIN SCHLAFZIMMER, EINEN KLEINEN FLUR UND EIN WOHNZIMMER AUF 16 QUADRATMETERN.«

Anne: Meine Mutter war nicht so begeistert, die dachte, das wäre eine Phase. Der mussten wir erst erklären, dass wir es ernst meinen. Als unsere Tochter unterwegs war, hatten manche Bedenken, ob es für das Kind gut ist, mit so wenig Platz und auf dem Land aufzuwachsen. Ich sehe das ganz anders. Hier können wir dem Kind wichtige Werte beibringen, dass man auf einen Frosch nicht drauftreten darf, zum Beispiel. Wir sind natürlich auch ehrlich zu ihr, sie lernt, dass man die Wespe nicht anfassen darf. Im Winter werden die Räumlichkeiten schon manchmal beengend, aber auch das hat gut geklappt. Und im Sommer können die Kinder draußen spielen, das ist ganz toll. Die können hier alles in den Mund stecken und barfuß laufen. Was gibt es Besseres für ein Kind?

»ICH WÜRDE MICH NICHT ALS ÖKO-TANTE BEZEICHNEN. GAR NICHT. EIGENTLICH WILL ICH NUR EINFACH, NORMAL, IN RUHE LEBEN, OHNE ELEKTRISCHEN GARAGENÖFFNER UND SOLCHEN SCHNICKSCHNACK.«

HATTEST DU SELBER AUCH BEDENKEN?
Ich hatte Bedenken, ob meine Partnerschaft hält. Wegen dem engen Raum, ob wir das können oder ob wir uns irgendwann gegenseitig nerven. Das kann ich im Nachhinein verwerfen. Es hat uns gezeigt: Wir sind’s. Wir können überall zusammen leben. Ich denke, wenn eine Partnerschaft das nicht aushält, dann passt generell irgendwas nicht.

LEBT IHR LEGAL HIER?
Offiziell wohnen wir hier übergangsweise in den Wägen, bis das Haus fertig ist. Es ist eigentlich illegal, so zu leben, man hat kein richtiges Abwasser, keinen Filter im Schornstein. Der Schornsteinfeger übersieht uns freundlicherweise, er geht immer vorbei und sagt »Ich seh nichts.« (lacht)

WIE SEHT IHR EURE WOHNZUKUNFT?
Wenn ich ein Haus baue, möchte ich, dass ich dort mit 50 noch wohne. Dann möchte ich keine Mitbewohner mehr. Wir wollen hier ganz bewusst Mieter bleiben. Jetzt mit 30 kann ich noch nicht sagen, ob ich hier bleiben will, um dann 15 Jahre abzuzahlen. Im Winter denkt man sich schon mal, ein Bad, ohne rauszugehen, wäre schön, es wird zu eng. Oder: Ein Kinderzimmer wäre schön. Wenn Amber größer wird, suchen wir eine andere Lösung, da machen wir uns nichts vor. Aber wir werden die Wägen immer als Sommerdomizil behalten.



A N N E(*1982) lebt mit ihrem Freund Stefan seit 2007 in einem Bauwagen auf einem alten Bauernhof in der Nähe von Rostock. Seit 1 3⁄4 Jahren will auch ihre Tochter Amber etwas vom Platz abhaben. Anne stellt Schmuck aus Naturmaterialien her, den sie in ihrer Galerie in Rostock verkauft (Avocadonaturschmuck.de). Stefan ist freiberuflicher Tätowierer im Nachbarort. Amber wird tagsüber zuhause von einer Tagesmutter betreut. An Wochenenden kann die junge Familie das ruhige Landleben gemeinsam genießen.

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