FREIE ZEIT

Seifenkistenrennen

TEXT Pia Volk _ FOTOS Sophia Brüning

Das ist purer Wahnsinn, die Verachtung der Realität, so zeigt man der Angst den Stinkefinger. Jedes Jahr rasen unzählige Menschen in Gefährten, die überwiegend aus Pappe, Bierkisten, Bauschaum und Holzlatten bestehen, einen Hügel in Leipzig hinunter. Bei einigen der Konstruktionen würde man sich nicht wundern, wenn sie slapsticklike nach der Ziellinie auseinanderfielen.

Michael Kröger ist einer von den Wahnsinnigen. Aber er hat ein Manko: Die Angst steckt noch in ihm: »Ich bremse leider immer in der Kurve«, erzählt er, »und schaffe es deshalb an der Blitzanlage immer nur auf 30 km/h.« Den »Lang Lebe Juri Gagarin-Sonderpreis für Lässigkeit beim Passieren der Radarfalle« hat er deshalb noch nie verliehen bekommen in den acht Jahren, in denen er schon beim Seifenkistenrennen »Prix de Tacot« auf dem Leipziger Fockeberg mitmacht.

Der Fockeberg ist knapp 150 Meter hoch. Eigentlich ist er nicht mehr als eine begrünte Schutthalde, die nach Kriegsende aus den Trümmern zerstörter Häuser zusammengetragen wurde. Nun cruisen an ihm seit 20 Jahren Fahrgestelle hinunter, die manchmal aussehen, als seien sie aus nichts anderem zusammengesetzt als dem Fahrgestell selbst. Michaels Seifenkistenautos haben Stil. Seine ersten Kistenwagen hat er als Junge gebaut – damals, als er noch am Rhein lebte.

Als er zum Studium nach Leipzig zog und zum ersten Mal als Zuschauer beim »Prix de Tacot« dabei war, hat es ihn sofort gepackt. »Ich habe das gesehen und wusste: Da musst du mitmachen.« Also hat er einige Mitstudenten rekrutiert und angefangen zu basteln. Seitdem steht er jedes Jahr in seinem Keller mit einer Handvoll anderer Jungs und jeder Menge Bier und Spaß und versucht, etwas zu bauen, das es den Berg runterschafft. Die ersten Modelle waren noch recht einfach, Kreuzungen aus Fahrrad und Auto, aber dann wurde es ausgefeilter.

PROBEFAHREN LOHNT SICH. PROVISORIEN HALTEN AM LÄNGSTEN.

Ihr wohl glorreichstes Gefährt war »Waldi«, ein überdimensionierter Dackel mit Fell zum Streicheln, selbstgebauter Seifenblasenanlage und einem Wackeldackel an Bord. Kinder konnten sich in ihm Hörspiele anhören. Dafür haben sie den Preis für das familien- und umweltfreundlichste Gefährt bekommen. Gleich vier mal durfte er im Waldi-Jahr auf das Treppchen. Beim »Prix de Tacot« geht es nämlich nicht nur um schnelles Runterfahren – erst mal müssen die Seifenkistenwagen den Berg hochgeschoben werden. »In dieser Disziplin sind wir schon seit Jahren unter den Ersten – ist alles Taktik. Man braucht genug Leute, die 50 Meter so schnell rennen wie sie können und dabei schieben, dann übernimmt der Nächste.

Wie beim Staffellauf.«, erzählt Michael. Mit Waldi wurden er und sein Team dann auch Zweiter beim Zeitfahren einmal um das Hügelplateau und bei dem wahnsinnigen Rennen hangabwärts. Es gibt auch noch Preise für promillegenaues Einparken, eine Ehrung für das eloquenteste Kistenteam und als Höhepunkt die Verleihung des »Designpreises der Ästhetik- Kommission des Geheimen naTo-Sportrates (GnS)«.

Für alle, die auf der Suche nach neuen Abenteuern sind, hat Michael zwei Ratschläge parat: Probefahren lohnt sich. Und Provisorien halten am längsten. Er fährt zum Beispiel schon seit fünf Jahren ohne Lenkrad, nur mit einer Stange, die man nach rechts schieben muss, wenn man nach links fahren will, oder umgekehrt. Einen Unfall hat er nur einmal gebaut: Als er einem Fotografen ausweichen musste, der sich mitten auf der Rennstrecke aufgebaut hatte. Da lernte Michael die Hangböschung aus nächster Nähe kennen.

… WIE, WENN MAN IM SCHWIMMBAD VOM TURM SPRINGT UND IM BECKEN IST KEIN WASSER …

Für alle postpubertären Menschen ab Mitte 20, die überhaupt keine Lust haben, das zu werden, was man gemeinhin als erwachsen bezeichnet, sei kurz erklärt: Die Geschwindigkeit, mit der ein Fahrer bei 30 km/h aufs Lenkrad knallt, wenn er einen Unfall baut, entspricht einem Sturz aus vier Metern Höhe. Das ist also ein bisschen so, wie wenn ihr im Schwimmbad vom Turm springt und im Becken kein Wasser wäre. Viel Vergnügen!

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