Matze verwandelt eine alte Feuerwehr in vielen Monaten aufwändiger Restaurationsarbeit in eine fahrende Bühne. Komplett mit allem ausgestattet, was ein gelungenes Fest so braucht. Das klingt mutig, handgestrickt, liebevoll, ein bisschen verrückt und sowas von Päng! Wir haben uns aufgemacht, um Antworten auf folgenden Fragen zu bekommen: Wer ist Matze und was ist eigentlich ein Multimobil?
TEXT Josephine Götz _ FOTOS Alex Manz
Das große, knallrote Feuerwehrauto, das ein freies Plätzchen auf dem Parkplatz sucht, zieht alle Blicke auf sich. »Wir haben sie uns viel kleiner vorgestellt!« begrüßen wir Matze. »Naja, für eine Bühne ist sie nicht sonderlich groß.«, schmunzelt er. 2 x 3 Meter, vorstehend aus dem Hubraum des alten Rundhaubers, mit Technik und Bühnenmonitoren ausgestattet, hat sie am vergangenen Wochenende erstmalig alle Register gezogen. Und, ist alles gut gegangen? »Oh ja. Das erste große Ding. Jancee Pornick Casino haben gespielt. Zwei Russen, ein Ami. Die haben sich so gefreut und waren so nett und haben sich volllaufen lassen.« Von der Bühne nach vorn hat Matze einen Durchgang gelegt. »Der Plan ist, dass ich hier in der Vorderkabine eine Art integriertes Wohnmobil habe, mit Bett und Kochecke, dass ich gescheit pennen kann. Aber das ist alles noch kompletter Rohbau, eins nach dem anderen.« Wir wollen rein, das alles aus nächster Nähe betrachten. »Am besten haltet ihr euch am Türrahmen fest und mit einem Fuß auf den Reifen. Mit dem Einsteigen muss ich mir noch was einfallen lassen.« Der Motor geht an, oder, besser gesagt, röhrt los. Mit dem größten Wendekreis der Welt biegen wir auf die Hauptstraße. Ich frag ihn, ob er vorher irgendwo Proberunden gefahren sei, bevor er sich mit der Feuerwehr das erste Mal rausgetraut hat. »Nee, das liegt mir irgendwie, die alten Geschosse.«

»Warum die alte Technik?« Die Antwort sitzt, man spürt, da wird mit Leidenschaft gesprochen: »Alte Technik aus den 60er/70er Jahren – das ist das Stabilste, was sie je gebaut haben. Durch die fehlende Elektronik ist alles noch selbsterklärend, reine Mechanik, wie ein riesengroßer Metallbaukasten. Wenn du irgendein Problem mit dem Auto hast und dich eine Weile damit beschäftigt – irgendwann kommst du darauf.« Eine wichtige Überlegung, wenn man sich ein altes Auto kauft und weder zeitlich noch finanziell von Werkstätten abhängig sein will. »Ich wusste, wenn ich mir so ein Gerät kaufe, brauch ich was, das ich reparieren, warten und umbauen kann. Wenn du dann so ein Plastikding mit viel Elektronik hast – das ist mir nichts.« Fährst du mit ihr auch in die Stadt rein? »Klar, das ist das Schöne an so alten Fuhrwerken. Alle Fahrzeuge, die älter als 30 Jahre sind und ein H-Kennzeichen besitzen, sind umweltzonenbefreit.« Das Diktiergerät streikt, zu laut dröhnt sie, die alte Feuerwehr. Ich lehne mich erst mal zurück und genieße die historische Fahrt.

Wir tuckern über zwei, drei Dörfer – von Jung und Alt bestaunt – auf der Suche nach einem geeigneten Spot für ein Multimobil-Shooting. Auf einer Feldkreuzung steigen wir aus. Laufen drumherum und inspizieren sie. Warum eine Feuerwehr? »Wichtig war, dass es ein Mercedes Rundhauber ist. Dann hab ich im Internet geschaut und sie gesehen. Dass es eine Feuerwehr ist, war eher zufällig. Ein Kaufkriterium war eher das Baujahr: 1971 – genauso alt wie ich. Die Technik war auch entscheidend. Eine Servolenkung, damit ich mit der Bühne in entlegene Orte fahren kann.« Ursprünglich war die alte Feuerwehr als Wassertanker über 25 Jahre lang im Einsatz und wurde danach für zehn Jahre als Erlebnispädagogik-Mobil einer Diakonie eingesetzt. Das Mobil war heißgeliebt, dem hiesigen Chef, der Angst hatte, dass etwas passiert, aber ein Dorn im Auge. Matze sieht die Verkaufsanzeige, ruft an und erfährt, dass es schon über zehn Interessenten gibt. Er wird gefragt, was er damit vorhabe. Seine Idee findet Anklang und am nächsten Tag holt er sein Traumauto – Mercedes-Benz LAF 1113, 164 PS Direkteinspritzer mit Turbolader, Allrad, Servolenkung, 50.000 km, 6,5 Tonnen Leergewicht – in Göppingen ab. Bis heute ist er mit der Diakonie in Kontakt geblieben. »Das hat von Anfang an gepasst.«
Matze steht auf, steigt in den Wagen und kurbelt die Bühne auf. Stolz zeigt er uns auf der Hinterwand den Sternenhimmel aus Leuchtdioden, »Das sieht nachts richtig toll aus.« Wir glauben es! Kaum zu fassen ist, wie viel Arbeit in diesem Projekt steckt. Als er den Wagen bekam, hatte er 45.000 Km runter. Dadurch dass Jugendliche damit gefahren sind, wurde das Auto tiptop gewartet. 1a-Voraussetzungen! »Aber man merkt’s halt erst beim Machen.«, muss Matze schmunzeln. »Dann sieht man erst mal, was man sich vorgenommen hat.« 1400 Stunden hat der Umbau insgesamt gedauert. In dieser Zeit ist Beträchtliches geschehen: Erst baut er den Wagen komplett bis auf den Grundbau auseinander, dann legt er los. Nach acht Monaten ‚Schweiß und Blut‘ ist sie fertig – seine mobil einsetzbare Bühne. Geplant waren drei.

Wir setzen uns auf die Ladenfläche und fangen ganz von vorn an. »Mit dem Umbau habe ich im Oktober 2010 gestartet, gekauft hatte ich sie bereits im Juli. Das war die erste Anzeige, die ich gesehen hatte – und ich dachte: »Jetzt oder nie« – jetzt machst du das!« Wenn man vor hat, eine Feuerwehr umzubauen, braucht es Platz. »Ich wusste, dass ich dran werkeln können muss, und zwar von morgens bis in die Nacht rein. Und dass es laut wird und ein Haufen Dreck gibt.« Wo macht man das am besten? »Innerhalb von zwei Wochen haben mir drei Leute von einem Platz in der Hohenlohe in Hessenau erzählt, auf dem lauter verrückte Schrauber mit ihren alten Lastwagen stehen. Das war der perfekte Platz. Dem Chef hat meine Idee gefallen und dann hab ich mich da eingemietet, in meinem Wohnmobil gewohnt und im Winter die Halle genutzt, in der Ersatzteile gelagert werden. Ich hab da viele Freunde gefunden und die ersten Aufträge oder fast alle, die es bisher gab, kamen aus der Ecke da.«
So arbeitet er Monate lang an seinem Traummobil. »Der Winter 2010 war krass.« Bei zeitweise -10 Grad Außentemperatur wurde fleißig gewerkelt – er und sein Mitarbeiter sind fast am Rahmen festgefroren. »Das hat natürlich seine Tiefen gehabt.« Aber viel mehr passiert Gutes. Einen Schlosser vor Ort, der gerade nichts zu tun hatte, konnte Matze für 100 Stunden beschäftigen.
DER HAT IMMER GESAGT »ACH MATZE, DU BIST ZU ZAGHAFT!« UND DANN KAM ER MIT DER RIESEN FLEXE UND SCHNITT ALLES RAUS.
»Ich war eher vorsichtig und dachte »Oh Gott, das musst du alles wieder zusammenkriegen. Aber er meinte: ‚Wir machen es so, dass es aussieht, als ob das Auto schon immer so war‘ – Ich hatte es anders geplant, meinen Fähigkeiten angepasst – dann hätte sie keine Wölbungen gehabt und wäre kastenförmig geworden. So wie sie jetzt ist, ist sie viel schöner.« Hast du dir überlegt, wie viel du maximal reinstecken willst? »Nun, nach 100 Stunden musste ich natürlich vorsichtig sein mit der Kohle.« Er überlegt. »Aber das kannst du halt auch nicht richtig kalkulieren. Wenn du angefangen hast, musst du weitermachen, sonst scheiterst du.«

Matze arbeitet zehn Jahre lang mit Unterbrechung als Vorarbeiter in der Logistik und wird dort mit der Zeit einfach todunglücklich. »Na klar, ich hatte super Konditionen – toller Lohn, Betriebsrente, Weihnachtsgeld, Ergebnisbeteiligung, Urlaubsgeld – aber mir hat das einfach keinen Spaß gemacht. Ich wollte nicht mit der Einstellung »noch 30 Jahre bis zur Rente« meine Zeit absitzen.« Und so reist er viel, immer ein halbes Jahr im Ausland und ein halbes Jahr in der Firma. Immer mit »Licht am Ende des Tunnels«, so dass er weiß: »Noch ein halbes Jahr und dann geht’s wieder ab ins Warme«. Aber irgendwann meint die Firma, er sei zu alt für einen Ferienarbeiter: »Entweder wir können dich nicht mehr anstellen oder du machst eine Festanstellung«. Er bleibt. 2009 kommt die Wirtschaftskrise- und Stellenabbau-Zeit, in der die ersten Abfindungen angeboten werden. Er nimmt die Kohle. »Dann hab ich einfach erstmal ein Jahr, wie ich es gern genannt habe als ‚Privatier‘ gelebt und hatte absolut keinen Plan, wie es weitergeht. Ich wusste nur, dass es so nicht weitergehen kann. Ja und dann kam die Idee.«

Es fängt an zu regnen, wir packen zusammen. Matze lädt uns noch auf einen Kaffee bei sich ein. Wir verlassen den Feldweg und biegen in eine kleine Straße, das Gestrüpp wird immer dichter, 200 Meter Luftlinie von großen Villen entfernt. Wir sind gespannt, wie der Multimobilmann wohnt. Als der Weg immer schmaler wird, halten wir. Er öffnet ein kleines Gartentor und es geht 30, 40 Steinstufen hinauf. Oben angekommen blicken wir auf eine kleine, ausgebaute Gartenlaube, eine große Holzterrasse und einen Jacuzzi. Eine Toilette sehen wir nicht. In der Laube macht er uns Kaffee, wir probieren uns derweil an Instrumenten aus, die einladend im Raum stehen. Mit duftenden Tassen bewaffnet, machen wir uns über einen Holzsteg balancierend zum weiteren Gespräch auf eine zweite Terrasse, eine Ebene höher, in Baumkronen gerechnet. Die Lauscher aufgestellt hören wir gespannt der Geschichte zu, wie man Besitzer eines Multimobils wird.

»Irgendwann – nachdem ich von der Firma weg bin – als ich den Abstand zum Arbeitsalltag hatte, habe ich gemerkt »Hey, es steckt noch Leben in mir«. Dann habe ich mich mit einem Zettel hingehockt und darauf geschrieben, was ich kann. Also so Sachen halt wie »Ich bin ein guter Bastler, ich bin musikbegeistert, ich spiele in einer Band, ich lege oft als DJ auf, ich mag alte Lastwagen, ich bin gern unterwegs …« Im Prinzip hat er per Brainstorming einen Job um sich herum kreiert.
»EINEN ALTEN LASTER WOLLTE ICH SCHON IMMER HABEN. DAS MULTIMOBIL WAR WAHRSCHEINLICH EINE LEGIMITATION DAZU, DASS ICH MIR EINEN KAUFEN KANN.«
Wie kann man sich das vorstellen, mit dem Zettel und dem Stift? »Als ich vom Daimler kam, war meine erste Amtshandlung der Jacuzzi, der da steht. Da saß ich dann irrsinnig lang drin. Schön mit Cocktail und hab‘s mir gut gehen lassen. Und hatte so das Gefühl »Ey Alter, du hast alles erreicht im Leben.« – Jetzt lachen wir beide. »Ja und das habe ich dann sehr lange praktiziert und ausgiebige Bäder genommen, immer mit dem Gefühl »Hey, alles gut gemacht, alles richtig.« Natürlich bin ich unsicher gewesen, als ich mich gegen den Job entschieden habe. Aber es scheint – zumindest habe ich das Gefühl – genau das Richtige gewesen zu sein, weil seitdem alles funktioniert. Klar, es ist mir nicht in den Schoß gefallen, ich habe da viel Arbeit reingesteckt, letztendlich auch mein ganzes Geld. Aber wenn du dich für was entschieden hast und dann zu sehen, wie es läuft, das ist ein tolles Gefühl.«
So ein Projekt stemmt man nicht allein, oder? Er erzählt von Menschen die seinen Weg kreuzten und immer im genau richtigen Moment die richtige Hilfestellung gaben. »Ich habe gelernt, dass, wenn man hilft – was ich teilweise bis zur Selbstaufgabe schon oft praktiziert habe – solltet man nichts dafür erwarten. Wenn man das mal abstreifen kann, dann kommt die Hilfe oft aus ganz anderen Ecken, als man vermutet.«

Wann kommt Geldverdienen ins Spiel? »Ich wurde ja viel zu spät fertig und dann hab ich alles gemacht, was sich auftut und nicht nach der Kohle gefragt, weil wichtig war, dass ich ein paar Bilder hab und sagen kann »Ich hab schon was gemacht«. Da waren z.B. die Kulturtage am Wochenende in Tübingen – das ist absolut Low Budget – wo ich mir gesagt hab – hey das ist mir jetzt wurscht, ob ihr Geld habt oder nicht – ich hab da Lust drauf, da kommen viele Leute, das ist gut zum Werbung machen. Auch heute will ich mir die Freiheit nehmen können zu sagen, was ist Job, was ist eine kommerzielle Sache mit Verdienstmöglichkeiten – und wenn ich für die mobile Jugendarbeit was mache, dann mache ich das so.« Gab es einen Auftritt, bei dem du gedacht hast, da hätte ich mehr verlangen können? Er überlegt. »Ja, den gab‘s. Da dachte ich im Nachgang, ich hätte es lieber lassen sollen. Das war so schlecht organisiert, und auch noch schlecht besucht und keiner wusste, was zu tun ist.« Musst du nebenbei noch arbeiten? »Ja – jetzt muss einfach noch bisschen was reinkommen. Ich brauch jetzt einen langen Atem, so ein, zwei Jahre, denke ich mal. Der Traum ist natürlich, vom Multimobil zu leben. Aber jetzt am Anfang sollte man sich für nichts zu schade sein.«
Um so ein Projekt stemmen zu können, braucht man einen Rückzugsort, an dem man sich wohlfühlen. Den hat er, schön ist es hier. »Ja – ich hab ein Dach überm Kopf und fühl mich wohl – aber wirklich sehr basic. Auf Dauer werde ich mir noch was Anderes suchen. Für so einen Lebensentwurf ist es wichtig, dass man eine Werkstatt hat, dass man reagieren kann, wenn sich irgendwas auftut, dass man mehrere Ausweichmöglichkeiten hat.«
»Das Feedback von außen war ‚Sei froh dass du in diesen Zeiten so einen Job hast und auch noch mit der Bezahlung‘ – aber für mich war eigentlich nur sicher, dass ich da unglücklich bin.«
Wir müssen los – zurück in die Stadt. Was er Leuten raten würde, die so etwas anpacken wollen, möchten wir noch wissen. »Klingt abgedroschen – aber keine Angst zu haben ist der beste Rat, den ich geben kann. Die kann einem im Weg stehen. Bei uns hier wird einen immer suggeriert, dass man auf Sicherheit gehen sollte, den Beruf pflegen, ein Haus bauen, sich gegen alle Möglichkeiten versichern sollte, aus lauter Angst. Das hat zur Folge, dass von der Freiheit, die man hat, immer weniger übrig bleibt. Davon muss man sich freimachen – das ist vielleicht die gefühlte Hürde, die es zu überwinden gibt. Mir ist es auch nicht leicht gefallen, den soliden Job aufzugeben. Das Feedback von außen war ‚Sei froh dass du in diesen Zeiten so einen Job hast und auch noch mit der Bezahlung‘ – aber für mich war eigentlich nur sicher, dass ich da unglücklich bin.«

Dann war es der richtige Zeitpunkt für das Multimobil? »Auf jeden Fall, aber so etwas braucht seine Zeit. Sich einen Schritt nach dem anderen freizumachen. Jeder Mensch hat da sein eigenes Tempo.« Wir sagen Tschüß zu Matze und seiner alten Dame – und bis bald – von der Sternenhimmelbühne wollen wir uns so schnell wie möglich live überzeugen. Was wir mitnehmen, sind Mut und Vertrauen, dass man mit der richtigen Einstellung so ziemlich alles meistern kann.
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