PÄNG!POET

HEIMAT KLAPPT BESSER, WENN ICH NICHT DORT BIN

Es reichen Kleinigkeiten. Ein lachendes, zweidimensionales Plastikschwein vor einer Metzgerei, die genauso aussieht wie früher, als die Tage in beruhigende Etappen gegliedert waren, an deren Ende es ein gemeinsames Abendessen gab. Die Straßenecke, an der ich zum ersten Mal das unbestimmte Gefühl hatte, etwas vergessen zu haben. Heute passiert es beim Kofferpacken, beim Autofahren und bei strategischer Lebensplanung. Damals war es die Blockflöte, die noch zu Hause lag, als ich schon vor dem metallenen Notenständer stand und überlegte. Der Supermarkt, der schon zum fünften Mal anders heißt, trotzdem ist es der Supermarkt, in dem wir früher Getränkekisten holten und Oma uns Joghurt mit Bodenfruchtspiegel kaufte, das gab es sonst nie.


Das Erdbeerfeld, das jetzt eine Siedlung ist, seit 15 Jahren schon. Wenn ich die Häuser sehe, sehe ich hindurch – es kommt mir vor wie ein Versehen – und darunter ist das Erdbeerfeld, was auch sonst.
Unser Haus, das mit dem besonderen Garten, mit der Rumpelkammer auf dem Speicher und dem dicken Buch auf der Gästetoilette. Dass darin seit tausend Jahren andere Menschen wohnen, ist merkwürdig, aber unerheblich. Oben rechts ist immer noch mein Zimmerfenster, mein Kinderzimmer natürlich, da wohne ich heute nicht mehr. Gehört aber trotzdem mir.


Die Zuggleise, an denen wir uns ins Gestrüpp warfen, wenn dann doch ein Zug vorbeikam. Die Rapsfelder bergauf und bergab, mit dem Fahrrad, immer an Jesus aus Holz vorbei, der hing müde an jeder Ecke.
Der Gartentisch, auf dem wir tiefgefrorene Orangensaft-Tetrapaks schlachteten und Eissplitter lutschten.

Der Zug, mit dem ich morgens zur Schule fuhr, um sieben Uhr fünf, und im Sommer gab es verrückt viele Mohnfelder an der Endhaltestelle. »Wenn du lieber ein Junge sein willst, geht das, man kann sich operieren lassen«, sagte Peter, bevor wir unsere Hände am Teppichboden statisch aufluden, um unsere Freunde mit kleinen Stromstößen zu erschrecken. Hinter dem Kunstunterrichtspavillon murmelte der Bach und meistens war es Herbst, es war dunkel und gemütlich und morgens war alles weiß vom Nebel. Ich trug Sweatshirts mit Micky-Maus-Motiv, der kleine Hund kaute auf Knochen und man konnte sich am Telefon unterhalten, Ortsgespräch. Mickey Mouse ist 80er, der Hund ist tot und die Stimme auf dem Anrufbeantworter geht nicht mehr ans Telefon.

Die Straßen dort, wo das Zuhause ist, sind krumm und dunkelgrau, gesäumt von hölzernen Leitpfosten. Im Dorf gibt es Hühner und ein Sägewerk und besonders viel Katholizismus. Das ist kein Ort für Besuche, das ist der Ort mit dem sandigsten Spielplatz und dem Schulhof am Fluss und der Garage, hinter der man Küssen üben konnte.

Manchmal reicht ein Bild von einem Traktor auf sattem Acker, ein dahin geworfener Satz in vertrauter Mundart, das Leuchten von Autoscheinwerfern im Regen. Es ist besser, nicht da zu sein. Zu wissen, wie es sich anfühlt und es nicht zu überprüfen, denn so ein Gefühl ist wie ein bebautes Erdbeerfeld, es ist klar und vertraut und war schon immer da, man kann es nur keinem beweisen. Jetzt bin ich dort, wo es keine Hühner gibt und kein Sägewerk und auch keinen Katholizismus.

Morgens fahre ich mit dem Fahrrad immer nur geradeaus und die Straße leuchtet, es riecht nach U-Bahn und Kaffee und Benzin, und die Straßenbahn fährt lautlos am Park vorbei, der von Weitem sehr toskanisch aussieht. Der Himmel ist blau und grau und weiter unten riecht es nach Weizen, und Schüler stehen vor einem bedeutsam vor sich hin wachsenden Kornfeld und kaufen sich italienisches Eis, bevor sie ins Museum gehen. Das Eis tropft aus der Waffel auf den Bordstein. Früher war dort kein Bordstein, sondern nur ein Streifen Land zwischen zwei Welten.

Abends fahre ich durch den Regen, der sich nicht heimelig anfühlt, aber nass und zärtlich. Manchmal kommt es wieder, das unbestimmte Gefühl, etwas vergessen zu haben. Aber die Dinge fallen einem selten dann wieder ein, wenn man besonders angestrengt darüber nachdenkt.

FINE HEININGER (Zeichnung) & Madeleine Penny POTGANSKI (Text) gehen den Dingen gern auf den Grund: Begegnungen, Episoden und ein roter Faden. Alltagswunderlichkeiten in Text und Bild wachsen über sich selbst hinaus und erzählen kleine Geschichten über Großes. Mehr davon gibt‘s auf MATROSENHUN.DE

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