HEREINSPAZIERT

ob das jetzt gott oder fridolin heisst

Über Sara hörten wir, sie hätte das schönste Esszimmer der Welt. Das wollten wir mit eigenen Augen sehen und klopften für die erste Ausgabe von Päng! an ihre Tür. Auf machte eine 35-jährige bunt-tätowierte, zierliche Quietschkugel, die neben ihrem Vollzeitjob bei H&M noch am Wochenende in einem Club arbeitet, und führte uns mit einer Riesenklappe und besten Gastgebermanieren durch ihr kleines Stuttgarter Vintage-Paradies. Ein Gespräch über Heiligenbilder und Neuanfänge.

INTERVIEW Josephine Sowah _ FOTOS Alex Manz

WIE BIST DU ZU DEINER WOHNUNG GEKOMMEN?
Die Anzeige habe ich im Internet gefunden. Immobilienscout. Ohne Provision. Schnell hingeschrieben und Besichtigungstermin gemacht. An besagtem Tag reingelaufen, es war Sonntag, blauer Himmel, die Wohnung so schön offen und hell, alles neu gemacht, mit Loggia nach hinten und Hof zum Grillen, die ganzen Zimmer schön beleuchtet, zum Draußensitzen, mit Tisch und Bänkchen, dann war klar: »Die will ich!«

DAS HAT, WIE MAN SIEHT, GEKLAPPT.
Ich komme ursprünglich aus der Nähe von Offenburg und wohne erst seit 2009 in Stuttgart. Die schwierige Wohnungssuche in Stuttgart war mir bekannt. Da es für die Wohnung natürlich mehrere Interessierte
gab, schaute ich mir an dem Tag gleich noch zwei andere Wohnungen an. Völlige Bruchbuden, wo man Geld für kriegen müsste. Abends rief ich den Vermieter an und sagte, dass mir die Wohnung nicht mehr aus dem Kopf geht und ich sie haben will. Er meinte: »Ok.« Ich antwortete: »Sie haben mir gerade mein Wochenende versüßt.« Und er: »Ja, sie mir auch.« Für Stuttgart war das ein Glücksfall.

»Als ich die kleine Veranda zum ersten Mal sah – unverputzt, mit Steinboden und quietschenden, alten Fensterrahmen – habe ich mich schon zu Hause gefühlt.«

WAS KOSTET DICH DIE WOHNUNG?
Allein wohnen ist schön, aber teuer. Mit allem zusammen zahle ich 620 Euro. Das ist ein stolzer Preis für eine Person, aber normal für Stuttgarts Innenstadt. Ich gebe 3⁄4 meines Gehalts für die Wohnung aus. Da bleibt für mich ganz wenig. Auf Dauer ist das nicht machbar, deshalb zieht bald eine Freundin mit ein. Das wird zwar eine Umstellung, aber ich freu mich drauf. Wir arbeiten beide sehr viel und können hier dann schön entspannen.

»Ich liebe Heiligenbilder! Davon gibt es viele auf dem Flohmarkt zu entdecken. Ist nicht so, dass ich jeden Sonntag in die Kirche renne, aber ich denk schon, dass es da oben etwas Höheres gibt, ob das jetzt Gott oder Fridolin heißt.«

WIE WÜRDEST DU DEINEN EINRICHTUNGSSTIL BESCHREIBEN?
Schön warm, zum Wohlfühlen. Oldschool-Möbel aus den 50ern/60ern/70ern mit neuen Sachen buntgemischt.

HAT SICH DEIN STIL MIT DEN JAHREN VERÄNDERT?
Früher hatte ich viel Blattgold, viel Dunkelbraun in der Wohnung. Und nichts gemischt. Jetzt ist es eher hell, mehr Antiquitäten und fast kein Ikea mehr. Früher dacht ich, es muss alles zusammenpassen – aus einer Linie sein. Heute hänge ich eine Neonleuchte über eine alte Kommode.


»Den wollten mir schon ganz viele Freunde abkaufen. Der schwerste Wohnzimmertisch der Welt. Mit Schubladen in jedem Tischbein für Geheimverstecke. So schön wie er ist, so schwer ist er. Mein Papa wollte ihn damals entsorgen.«

WO HAST DU DEINE MÖBEL HER?
Mitte 20 habe ich den ersten antiken Tisch von meinem Papa bekommen. Danach die Kommode von meiner Schwester. Ein alter Bauernschrank. Einige Möbelstücke hab ich vom Sperrmüll. Z.B. ein Sessel, der stand draußen vorm Haus, da hab ich gedacht, »den brauch ich!«. Andere Stücke habe ich von spontanen Käufen auf dem Flohmarkt oder in Secondhand-Shops.

UND AUF DEM FLOHMARKT WIRD GEHANDELT?
Klar! Zuallererst setze ich mir bei jedem Stück vorher ein Preislimit. Dann frage ich, was es kosten soll, und wenn er sagt 15, sag ich, für 10 nehm ich’s gleich mit. Die meisten sind auch einverstanden. Manche Händler haben bei den 60er/70er-Sachen unverschämte Preise, das sehe ich nicht ein. In Stuttgart sitzt das Geld halt gut und Vintage ist in. Gerade auf den großen innerstädtischen Flohmärkten kann man nicht mehr von Flohmarkt sprechen. Das ist ein Antiquitätenhandel, auf dem es immer das Gleiche zu überteuerten Preisen gibt. Ich bevorzuge die kleinen Märkte am Stadtrand.


»Die gemütlichen 70er-Jahre-Sessel habe ich in einem An- und Verkauf ergattert. Für 6 Euro das Stück. Ich liebe meine Tee-Ecke. Mit meinem Oldschool- Oma-60er-Jahre-Teegedeck, Yogi-Tee und Agavensirup kann ich hier stundenlang sitzen. Das ist für mich Entspannung pur.«

WONACH SUCHST DU DEINE MÖBELSTÜCKE AUS?
Ich würde sagen, ich such mir keine raus, sie suchen mich raus. Wenn ich über den Flohmarkt laufe und was sehe, wo mein Herz schneller schlägt, was mir gefällt, muss ich das kaufen. Da muss ich auch nicht hin und her überlegen.

WECHSELST DU DEINE MÖBELSTÜCKE?
Es kommt öfter was dazu, aber es kommt nichts raus. Außer Ikea-Möbel, die den Umzug nicht unbeschadet überstanden haben. Durch den Einzug meiner Freundin ist für einige Schätze leider kein Platz mehr und meine kleine Schwester bekommt sie. Wir tauschen immer alle Sachen hin und her. Wenn jemand was nicht mehr will und mir gefällt’s, nehm ich’s mit. Auch gern nur geborgt. Das ist alles ein Geben und Nehmen.

»Fotos sind wichtig. Selbstgemalte Bilder von Freunden. Und Kerzen!
Kerzen sind bei mir immer an. Vormittags, mittags, abends.«

EIN SCHÖNER GEDANKE…
.Ich bin mit wenig Geld groß geworden. Wir hatten ein altes Hexenhäuschen mitten im Schwarzwald mit großem Garten und ganz viel Landwirtschaft, überall Katzen und Hunde und alles selber angepflanzt. Ich hatte richtige Hippie-Eltern. Beide lange Haare, Schlaghosen, Stirnbänder. In dem kleinen Ort waren wir total verrucht. »Drogenabhängige«, wie die alten Leute halt so reden. Meine Mum hat alles selbst gemacht, weil wir so wenig hatten. In den Wald gegangen, Kräuter gepflückt. Bei uns wurde nichts weggeschmissen. Das ist alles ein Miteinander. So auch mit den Möbeln. Solche Gedanken wie »Dein« und »Mein« sind mir fremd.

EIN TIPP FÜR ALLE, DIE IHRE NEUE WOHNUNG EINRICHTEN?
Ich bin in meinem Leben bestimmt schon 20 bis 25 Mal umgezogen. Hab mit meiner Schwester zusammengewohnt, mit Freunden, mit meinem Mann und jetzt seit langem wieder al- lein. Ich mag umziehen. Wenn die Wohnung neu ist und alles darauf wartet, schön gemacht zu werden. Man hat die Chance, vorher alles gut auszusortieren und jetzt nur die Möbelstücke mitzunehmen, auf die man wirklich nicht verzichten kann. Nicht alles vollstellen. Lieber viel Weiß, viel Platz, dass die Schätze mehr zur Geltung kommen. Schönes Licht und Grünzeug ist wichtig. Am besten pflegeleicht. Ja und ordentlich sollte man es halten, von Anfang an. Bei mir kann man wirklich vom Boden essen.


Die berühmt berüchtigte Esszimmer-Garnitur: »Sie stand ursprünglich in einem kleinen afghanischen Restaurant. Sie für 4.000 Euro in dem kleinen Laden aus Mainz zu kaufen, wo der Besitzer sie herhatte, kam nicht in Frage. Ein paar Wochen später musste er sein Restaurant auf- geben und verkaufte seine Inventur. So habe ich sie doch noch bekommen. Für 500 Euro .«

WAS HAST DU BEI DIESER WOHNUNG ANDERS GEMACHT?
Die Wohnung vorher, da war alles bunt gestrichen. Weil meine neue Wohnung klein ist, wollte ich nicht streichen. Hier sind so viele bunte Accessoires, die wirken mit Weiß einfach viel schöner.

WAS BEDEUTET DEINE WOHNUNG FÜR DICH?
Nach der Trennung von meinem Mann wollte ich einfach nur meine Ruhe, mich wieder finden und sammeln. Die Wohnung ist mein Neuanfang. Mein Ruhepol. Ich schließe hier auf und fühle mich einfach wohl, zu Hause, angekommen. Ich habe ’nen anstrengenden Job und brauch meine Ruhephasen, Zeit für mich allein. Wohlfühlsachen anziehen, Ker- zen und Musik anmachen. Gemütlich zum Abschalten. In neun Monaten hab ich mir mein kleines Paradies geschaffen. Das Einrichten ging relativ schnell. Ein paar Bilder noch aufhängen, ansonsten bin ich fertig. Auch ein schönes Gefühl. Ich bin angekommen, zumindest in der Wohnung.

»Wenn wir bei H&M umbauen, wird alles rausgeschmissen. Den Torso habe ich für 1 Euro mitgenommen. Ein großer Vorteil, wenn man im Einzelhandel arbeitet.«

BIST DU FERTIG MIT EINRICHTEN?
Ich fühl mich so wohl, wie es bei mir ist. Das Einzige, was akut noch ansteht, ist ein neues Bett. Weil wir getrennt sind, will ich nicht mehr in meinem alten schlafen. Ja, und ein riesengroßer Kicker wäre mal gut. Aber dafür brauch ich eine größere Wohnung. Irgendwann. In einer alten Lagerhalle.

WAS MACHT DICH ZUFRIEDEN?
Was mich glücklich macht? Wenn mein Tag gut war, ich nette Kunden hatte, gut gelaunt aus dem Geschäft laufe, wenn mein Kontostand mit ’nem Plus vorne dran ist, wenn mein Kühlschrank voll ist, wenn ich mal ein freies Wochenende habe. Und, wenn ich genug gespart habe, um mir einen 8er Mercedes zu kaufen. Den hatte ich schon. Zweimal.

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