MENSCHEN ERZÄHLEN

Lieb zu vögeln

Das ist Sukkhadas. Er ist gemacht aus Freiheit und Frohsinn und er glaubt an die offene Liebe.
Julia traf ihn während einer Mitfahrgelegenheit nach Berlin, in der er anfänglich noch in langer Hose saß und später in Badeshorts ausstieg. Ein Gespräch über offene Liebe mit einem Vater mit eigenem Kopf.

INTERVIEW Julia Stephan _ FOTOS Caroline Scharff

Warum eine offene Beziehung?
Wegen dem inneren Verlangen, dass so leben zu wollen. Sich auf ein Abenteuer einlassen. Man setzt die Beziehung aufs Spiel, geht an seine Grenzen.

Was war der Auslöser für deine erste offene Beziehung?
Der Samen wurde durch das Buch »Hallo, ich liebe dich!« gesät. Das war aus den 68ern, kam aus Amerika und hat Lebens- und Liebesgeschichten sowie alternative Liebesformen thematisiert. Da war alles dabei, von A-Z, was ich sehr interessant fand (lacht). Das zeigte mir, es gibt auch andere Wege, die Liebe zu leben.

Wie alt warst du damals?
18. Das war der erste bewusste Kontakt mit offenen Beziehungen. Außerdem hatte ich einen Freundeskreis, in dem es feste Paare sowie Leute gab, die eher frei lebten, und da haben wir einfach getestet. (Hari, sein 7-jähriger Sohn, der mit im Raum sitzt, bittet uns, etwas leiser zu sein)

Das klingt erstaunlich offen.
Ich glaube, dass es gerade in diesem Freundeskreis keine bewusste Entscheidung war, »ja, wir leben offen«. Das hat sich einfach entwickelt und eine sehr familiäre Atmosphäre geschaffen. Was mir sehr gefallen hat.

Wie viele offene Beziehungen hattest du seitdem?
Zwei, eine 3,5 und die andere 2 Jahre. Die erste war von Anfang an sehr unkonventionell. Wir haben uns in einem sehr offenen Rahmen kennengelernt. Ich hab in Stuttgart gelebt. Sie in Berlin. Überall auf der Welt trafen wir uns und wirkten wie Magneten aufeinander. Was ein sehr schönes Abenteuer war, mit viel Platz und Raum zum Ausprobieren. Das war mit Haris Mutter.

Ist durch diese Offenheit das Bedürfnis nach anderen Liebhaberinnen geringer geworden?
Es gibt definitiv diesen Reiz, wenn man eine monogame Beziehung lebt, das haben zu wollen, was man nicht hat oder haben kann. In der Hinsicht war ich entspannter, wenn ich jemandem sehr Attraktiven begegnete. Die Gefühle haben sich weniger hochgeschaukelt.

Wie viele von deinen Beziehungen haben »funktioniert«?
Alle. Auch bei der zweiten hat es geklappt. Die fing als monogam an. Sie wollte auf keinen Fall eine offene Bezie- hung. Für mich war das in Ordnung, da es mir wichtiger war, mit ihr zusammen zu sein, als darauf zu beharren.

Wusste sie nichts von deiner Einstellung zu Beziehungen?
Sie wusste das von der ersten Beziehung, aber für sie war klar: »Das will ich nicht!« Dann haben wir eine mo- nogame Beziehung geführt und waren sehr glücklich damit. Bis sie sich verliebt hat. Da ich wusste, wie das ist, konnte ich die Gefühle bei ihr gut nachvollziehen und habe mich auch für sie gefreut. Leider hat sie das negativ aufgefasst und dachte, ich empfinde nicht so viel für sie. Nach einigem Ringen hatte sie dann was mit dem anderen, dessen anfängliche Lockerheit allmählich in die Forderung nach einer festen Beziehung umschlug. Ihre Gefühle wurden dadurch immer gespaltener und hinzu kam, dass ich zu der Zeit viel gearbeitet habe. Am Schluss entschied sie sich für den anderen, was sehr schmerzhaft war. Dennoch war es eine sehr schöne Beziehung. Mit viel Vertrauen und einer sehr großen Innigkeit. Das Wichtigste ist die Gewissheit: Der andere ist mein fester Partner und wir leben das zusammen.

Das waren doch sicher sehr intensive Gespräche …
Wenn man so ein Beziehungsmodell anstrebt, muss man dafür bereit sein, gerade in diesen Momenten – wann ist der beste Zeitpunkt, wann rede ich darüber, wie rede ich darüber – über sich selbst zu springen. Da hat jeder eine individuelle Hemmschwelle, aber ich mag es, wenn man sagt, was Sache ist. Das sind definitiv Grenzerfahrungen, die sehr fordernd sein können. Da braucht es eine gewisse Akzeptanz für das, was ist, und Respekt für das, was in dem Gegenüber vorgeht.

Was waren die Spielregeln in deinen offenen Beziehungen?
Die gestalten sich auf Grundlage der Persönlichkeiten und deren Erfahrungen mit Beziehungen. Ich glaube, die können immer variieren – da gibt es kein Patentrezept.

Habt ihr es euch immer gesagt, wenn da was mit einem anderen lief?
Unterschiedlich. Einmal hieß es: »Ich möchte nichts wissen, wenn da was anderes am Laufen ist« und dann auch mal: »Bitte vorher ankündigen, wenn du meinst, da könnte was laufen«.

Und womit kommst du besser klar?
Ich finde es immer schön, den anderen einzuweihen. So weiß jeder, woran er ist und was der andere gerade erlebt. Das ist eine sehr gute Grundlage, den Kontakt zum anderen zu erhalten und sich nicht abzuwenden bzw. diese Innigkeit zu verlieren. Man kann nur daran wachsen, wenn man den anderen teilhaben lässt. Wozu viel Mut gehört. Das birgt alles ein gewisses Risiko. Aber diese Sicherheit, nach der Menschen streben, gibt es nach meiner Erfahrung nicht. Weder in monogamen noch in offenen Beziehungen. Dafür gibt es eben keine Garantie. Dadurch dass man die Beziehung öffnet, entsteht eine Ebene, auf der noch mehr Nähe und Zusammengehörigkeitsgefühl entsteht. Teilweise ist es überraschend, was das im sexuellen Bereich auslösen kann, wenn andere Einflüsse von außen kommen, die man teilt und sich zusammen weiterentwickelt.

»Man ist sich einfach gewiss, dass man sein Leben miteinander teilt. Da spielt das gar keine Rolle, dass der andere noch jemanden hat, weil das Zusammensein so intensiv, ehrlich, herzlich und vertrauensvoll ist.«

Was glaubst du sind die Voraussetzungen für eine offene Beziehung?
Offenheit, Ehrlichkeit und Respekt dem anderen gegenüber. Das ist das Wichtigste. Außerdem sollten beide die Partnerschaft in den Mittelpunkt stellen, so dass jeder das Gefühl hat, »der Partner« für den anderen zu sein. Eine sehr schöne Spielregel ist, dass man aussprechen darf, wenn einem nicht danach ist, dass der Partner diese offene Beziehung gerade lebt und der andere das berücksichtigt. Man behält sich somit das Recht auf innige Zweisamkeit und monogame Momente bekommen genug Raum.

Muss man dafür ein spezieller Typ Mensch sein?
Man sollte sich seiner Liebe bewusst sein und die Schönheit in den Dingen sehen. Man muss bereit sein, ein Risiko einzugehen, und gleichzeitig eine starke Verbundenheit mit sich spüren, um diesen Standpunkt im Leben einzunehmen. Ich persönlich fordere gerne Grenzen heraus und spüre eine tiefe Zufriedenheit, wenn diese gesprengt werden.

Wann spürst du das Bedürfnis nach einer »Anderen« am ehesten?
Konkret, wenn ich mich außerhalb der Beziehung zu einem anderen Menschen hingezogen fühle. Weniger in der Verliebtheitsphase. Die lässt einen auf den anderen Menschen ausrichten und das Verlangen sowie der Platz für andere ist da sehr gering.

Jetzt mal ehrlich: Da muss doch etwas mit dem Partner nicht stimmen, wenn man eine offene Beziehung will?
Ganz ehrlich, diese Frage finde ich aus einem sehr beschränkten Blickwinkel gestellt. Nur weil dieses Beziehungsmodell der monogamen Beziehung in unserer Gesellschaft und in diesem Jahrhundert wahrscheinlich das meist gelebte ist. Es gibt da noch ganz andere Formen, z.B. in Afrika, wo tlw. ein Mann zehn Frauen hat, oder Naturvölker, wo eine Frau mehrere Sexualpartner gleichzeitig hat.

Vielleicht ist der Partner einfach nicht der Richtige, wenn man das Verlangen nach anderen spürst?
Ich finde das etwas platt gesagt, selbst mit der tollsten Frau an meiner Seite reizen mich andere Frauen. Das ist eine ganz natürliche Sache, dass man Dinge, die attraktiv scheinen, ausprobieren will. Man kann an Begegnungen mit anderen Menschen wachsen. Zugleich bedeutet das aber nicht, dass offene Beziehungen der perfekte Gegenentwurf zu monogamen Beziehungen sind. Ich möchte da gar nicht schwarz/weiß denken, sondern das leben, was das Leben mir bietet. Es kann auch eine wundervolle monogame Beziehung bis zum Ende des Lebens sein. Damit hab ich kein Problem. Aber ich sehe die offene Beziehung als gesunde Alternative zur monogamen Partnerschaft und nicht die monogame Beziehung als richtig oder falsch – da klappt alles –, so soll es sein. Ich glaube einfach, dass es viele verschiedene Arten gibt, wie Menschen miteinander leben können.

Ist deine Partnerin in einer offenen Beziehung trotzdem deine wichtigste Person?
Ja definitiv. Sonst macht es keinen Sinn, dass sie »meine Partnerin« ist, dann wäre sie ein Mensch unter vielen anderen.

Wie gibst du ihr das Gefühl?
Durch Respekt. Ich möchte mit meiner Partnerin durchs Leben gehen und dass wir uns aufeinander ausrichten und drum herum baut sich alles andere auf.

Theoretisch schön und gut – wie funktioniert das in der Praxis?
Gerade wenn der andere von jemandem zurückkommt, ist das immer prickelnd. Da ist eine gewisse Spannung da und man freut sich auf den anderen. Ich hab die Erfahrung gemacht, dass dadurch eine sehr große Leidenschaft und Intimität entsteht.

Weil man den anderen zurückerobern muss?
Ich glaube, dass eine gewisse Unsicherheit immer da ist und es ein gesteigertes Bewusstsein im Umgang mit dem Gegenüber erfordert. Mich hat nach diesen »neuen Begegnungen« mit dem »alten Partner« immer die Vertrautheit und starke Nähe fasziniert. Das ist für mich ein Zeichen, dass man das leben kann und mich hat das immer darin bestärkt. Natürlich wird man auch eifersüchtig bei der Vorstellung, dass der andere einen Lover hat und man ihm nicht so wichtig sein könnte.

Wie gehst du mit dem Wissen um, dass deine Partnerin ab und an einen anderen Mann hat?
Das ist verschieden. Das Schönste ist, wenn man teilen kann, dass jeder eine andere Affäre hat oder sich ander- weitig auslebt. Wenn man dann wieder zusammenkommt, weiß man die Nähe und das Vertrauen für einan- der sehr zu schätzen. Diese Liebe lässt einen wunderschöne Momente erleben. Man ist sich einfach gewiss, dass man sein Leben miteinander teilt. Da spielt das gar keine Rolle, dass der andere noch jemanden hat, weil das Zusammensein so intensiv, ehrlich, herzlich und vertrauensvoll ist.

Fällt es dir leichter, wenn du zum gleichen Zeitpunkt wie deine Partnerin eine Liebhaberin hast?
Ja, oder ich bin so beschäftigt mit anderen Dingen, dass ich keine Zeit hab, mir darüber Gedanken zu machen. Das muss aber nicht zwangsläufig ein Scheitern der Beziehung hervorrufen.

Wird der Partner einem nicht fremd, wenn er eine Affäre hat?
Ich glaube, du distanzierst dich nicht von dem anderen, sondern näherst dich über eine dritte Person dem anderen an. Es ergeben sich andere Sichtwinkel und Facetten, die in die Beziehung einfließen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man daran wächst. Durch das Leben dieser Freiheit entsteht ein noch stärkeres Band zwischen dir und dem anderen und du bekommst das Vertrauen, dass egal was kommt, die Beziehung kaum etwas erschüttern wird.

Wie reagiert dein Umfeld auf das Thema offene Beziehung?
Ich habe viele gleichgesinnte Freunde über die Jahre kennengelernt, die in alle Himmelsrichtungen verstreut sind. Natürlich habe ich auch Freunde, die in klassisch monogamen Beziehungen leben und ihr Glück darin sehen. Bei denen gehen die Meinungen über meine Beziehungsführung auseinander. Manche können das akzeptieren und sagen ja, wenn er glücklich damit ist, dann freut uns das. Andere fühlen sich teilweise angegriffen durch die Art und Weise, wie ich lebe. Da ergibt sich mitunter aus gesellschaftlichen Konditionierungen, wie etwas zu sein hat, ein Unverständnis. Auch im Job hab ich da kein Blatt vor den Mund genommen. Wie ich aber gemerkt habe, kann das Mischen von Privatem und Beruf auch sehr negative Auswirkungen haben. Gerade wenn man auf Kollegen stößt, die mit persönlichen Informationen nicht verantwortungsvoll umgehen. Das ist mir auf einer Geschäftsreise passiert. Eine Kollegin hat meine Einstellung zu Beziehungen nicht nachvollziehen können. Eines Tages saßen wir mit der Abteilungsleitung zusammen und sie sagte: »Hah, ich weiß, du willst doch nur die Frauen rumkriegen.« Das war definitiv deplatziert. So bin ich vorsichtiger geworden, da ich nicht weiß, mit wem ich es zu tun kriege, und denke, dass es beruflich niemanden etwas angeht. Wie sich später herausstellte, hatte sie dann witzigerweise eine Affäre mit zwei Männern gleichzeitig.

Was macht deiner Meinung nach eine glückliche Beziehung aus?
Erstens suchen ganz viele ihr Glück im Partner, was für mich früher oder später ein Zeichen für eine unglückliche oder eine sehr abhängigkeitsstarke Partnerschaft ist. Letztendlich bedeutet, das Glück in dem anderen zu suchen, gleichzeitig, das Glück aus der Hand zu geben. Meiner Meinung nach ist das Glück des Lebens in einem selbst und wenn man diese Einstellung hat, kann man auch glückliche Beziehungen führen. Sobald man sein Glück in etwas anderem sieht, wird man früher oder später enttäuscht. Für mich liegt die Erfüllung der Beziehungszufriedenheit eher in der Akzeptanz.

SUKKHADAS INGO AUER (*1980) aufgewachsen auf den Fildern, machte während seiner wilden Jugend transzendentale Experimente. Moderner Freigeist und herzlicher Rebell. Traf 2003 auf den Advaita-Meister Madhukar. Lernte durch den Yoga-Meister das wichtigste in seinem Leben kennen: inneren Frieden. Lebt heute innere und äußere Freiheit, ist Vater eines wunderbaren Sohnes, arbeitet als kreativer Kopf in der Medienbranche in Berlin und schäumt oft einfach mal über vor Glück. Get in touch: facebook.com/sukkhadas

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