PÄNG!TRIP

erdumrundung

?Vom australischen Sommer in den deutschen Winter reisen? Nein danke, dachte sich unsere Autorin Pia Volk. Sie dehnte ihre Heimreise auf drei Monate aus und erkundete mit ihrem sechsjährigen Sohn die Inseln des Pazifiks.

DER PLAN

Nach Hause, immer Richtung Heimat sollte es gehen. Aber bitte nicht allzu schnell. Einen richtigen Plan hatte ich nicht. Eher eine Idee. Ein Jahr lang war ich am anderen Ende der Welt, in Australien. Im Dezember endete mein Visum und damit mein kleines Intermezzo dort und ich musste zurück nach Deutschland. Aber wer will schon vom Sommer mit 30 Grad Hitze und Aben- de am Strand in den grauen deutschen Winter zurückkehren? Ich beschloss, meinen Heimweg zu verlängern und die Inselwelt des Pazifiks zu erkunden. Mit im Schlepptau meinen damals sechs jährigen Sohn Paul.

DIE VORBEREITUNG

Um ehrlich zu sein – es gab keine. Es gab nur Zufälle. Die pazifische Inselwelt ist groß. Über Australien liegt Papua-Neuguinea, es folgen Indonesien und Malaysia, die Philippinen und Japan und dann noch die Kette an mikrone- sischen Inselstaaten, die alle nach Traumurlaub klingen: Guam, Palau, Yap, Vanuatu, Tuvalu, Tonga, Fidschi und Samoa. Ich hatte keine Ahnung, wo ich genau hinwollte. Ich erzählte jedem, den es interessierte – und allen anderen auch – von der geplanten Reise. So kam es, dass mich Freunde von Freunden auf die Philippinen einluden und eine Bekannte sagte, ich müsste unbedingt ihre Gastmutter auf Palau besuchen. Eine Freundin erzählte mir, dass sie einst auf Bali gelebt hatte und empfahl mir diverse Ausflugsziele, wieder eine andere lebt noch immer auf Borneo und empfahl sich selbst. Ein deutscher Freund wollte unbedingt nach Japan und schlug vor, wir sollten uns dort tref- fen, wenn ich ohnehin schon in der Nähe wäre. So war der Plan.

DIE ETAPPEN

Bali, kurz vor Weihnachten. Seit zwei Stunden stand unser Taxi im Stau. Wir wären schneller, wenn wir laufen würden. »Aus Java kommen die ganzen Touristen mit der Fähre rüber«, erzählt der Taxifahrer und zuckt mit den Schultern. Merke: Vom Weihnachtsmann eine Portion smogfreie Luft für Kuta bestellen. Es dauert ewig, bis wir an dem Traumstrand namens »Dreamland« angekommen sind. Ich denke an hohe Wellen, weichen Sandstrand und Surfer, so weit das Auge reicht. Es sah eher aus wie »Alp-Traumland«. Man hatte eine Hotelanlage davor gesetzt, einen grauen Klotz, und jeder, der dort nicht wohnt, muss Eintritt zahlen. Surfer tun das nicht, nur Touristen wie wir. Schnell weiterziehen!

Brunei ist ein seltsames Land. Es besteht aus einer pompösen Stadt mit Einkaufspassagen, Moscheen und dem Palast des Sultans, der Hauptstadt, der einzigen Stadt und aus einem Stück Dschungel. Die beiden Teile sind voneinander getrennt, dazwischen liegt ein Stück anderer Dschungel, der Malaysia gehört. Um von der Stadt Bandar Seri Baga- wan nach Temburong in die Wildnis zu gelangen, muss man zwei Grenzen innerhalb von 30 Minuten passieren – oder man nimmt das Boot. Denn der Fluss, der gehört allen: den Malaysiern, den Einwohnern Bruneis und vor allem auch den Krokodilen.

Das Haus meiner Freundin, deren Einladung ich gefolgt bin, steht im Dschungel, am Ende einer Matschpiste. Von innen sieht es auch aus wie ein kleiner Palast, mit einem Empfangszimmer so groß, dass man es Halle nennen möchte, und goldenen Ventilatoren und kleinen Säulen überall. »Die Leute hier stehen auf Kitsch und repräsentativen Schnickschnack«, sagt sie. Ihre Mülltonnen muss sie abschließen, damit die Affen nicht darin rumwühlen.

Morgen ist Silvester, wir wollen noch Bier und Zigaretten besorgen. Beides ist verboten in Brunei. Also steigen wir ins Auto und fahren mal kurz nach Malaysia rüber, um dort auf dem Markt von einer zwielichtigen Frau ein paar Flaschen unter dem Ladentisch gereicht zu kommen. »Whiskey ist leer, den hat die Polizei als Bestechung mitgenommen«, sagt sie.

Das neue Jahr begrüßen wir mit einem Haufen Heimatlosen. Eine Neuseeländerin, die einen Engländer geheiratet hat und mit ihm in Brunei lebt. Eine Australierin und ihr chinesischer Mann. Meine Freundin, mein Sohn Paul und ich. Nur Patrick ist Einheimischer, allerdings vom Stamm der Iban. Ob die nun eher zum malaysischen oder zum bruneischen Teil der Insel gehören, darüber streiten sich die Regierungen wohl immer noch. Ähnlich ist es auf den Philippinen. Dort fühlt sich auch keiner für die Indigenen zuständig. Die Ati, die wir besuchten, leben als gottvergessene Wesen in Dörfern im Nirgendwo. Nicht einmal einen Arzt haben sie, nur die Priester kommen regelmäßig vorbei. Ich habe selten so viele Missionare zu sehen bekommen wie in diesen Wochen auf den Philippinen. Die Kirche als Heimat, als letzte Zuflucht. Ihre Bauten sind die Einzigen, die prachtvoll erblühen, es sind die einzigen Gebäude, die instand gehalten werden. Auch wir selbst haben Prediger getroffen. Als unser Bus in den Parkplatz einbog, für eine kleine Essenspause, stieg eine Frau ein. Sie war sauber gekleidet, weder ihr schwarzer Rock noch ihr roter Pollunder hatten Löcher. Sie stand im Gang und begann, eine Rede zu halten, ich verstand kein Wort, aber ich kannte den Tonfall.

Sie predigte, in ihrer Hand hielt sie die Bibel. Als der Busfahrer wieder einstieg, ging sie mit einem Umschlag rum und sammelte Geld, sie wedelte ihn eine Weile vor meiner Nase, aber ich erklärte ihr meine Meinung über Gott und die Welt. Ich weiß nicht, ob sie es verstand, oder ob ihr nur der Tonfall bekannt vorkam.

Am siebten Tag fanden wir das Paradies. Weißer Sandstrand, Korallenriffe, Palmen, Sonnenschein. Schnorcheln mit kleinen Haien, mit Fischen, die an den Füssen knabbern, sich von den leuchtenden Korallen verzaubern lassen. Ich hätte mir eine Hütte am Strand bauen können und einfach nicht mehr weiterziehen. Das wäre dann meine neue Heimat: das Paradies. In den Familien auf Palau herrscht noch das Matriachat. Frauen sind der Chef, ganz offiziell. Mein Sohn findet das weniger cool, andererseits konnte er meiner Herrschaft ohnehin noch nie entkommen. Palau wurde vom deutsche Kaiser Wilhelm einst in Beschlag genommen. Ich stelle mir vor, wie er einst am Strand saß, auf das Meer sah und seufzte, »ach, wie herrlich blau, blau, blau«.

Unsere Zeit im Paradies war endlich. Wir tingelten weiter über Guam, das so langweilig war, dass ich es nicht weiter erwähnen mag. Danach: Japan. Das Japan, das heute in Trauer verharrt. In Japan ist man verloren. Kein Schild, das man lesen könnte, keine Speisekarte, kein Mensch, den man versteht. Alles muss man mit den Augen begutachten. Einmal bestellte ich blind etwas von der Karte, was sich als Seeigel-Sushi herausstellte: eine überreife braun-rote pürierte Erdbeere mit Fischgeschmack. Der Freund, den ich dort traf, hatte eine App auf seinem Smartphone, die japanisch für einen sprach. Man konnte auswählen, ob man nach dem Weg fragen, flirten oder jemanden beschimpfen wollte. Wir haben Abende damit verbracht, uns auf japanisch zu beschimpfen.

Weiter weg kann man sich von zuhause nicht entfernen. Mit meinem Sohn sprach ich noch Englisch, mit meinem Freund Deutsch und mit der Technik Japanisch. Wir lernten verbeugen, Schuhe ausziehen und leise sein. Noch nie war ich in einer Großstadt, die so quirlig und gleichzeitig so leise war wie Tokyo. Wir verließen Tokyo am 10. März 2011. Eine Woche später gab es dieses Japan nicht mehr.

DAS ZIEL

Zuhause. Es gibt kein Zuhause mehr. Wenn man zu lange unterwegs war, stellt man fest, dass es keine wirkliche Heimat gibt. Man hat seine Seele zerstückelt und auf dem Planeten verteilt. Überall hat man ein Stück von sich gelassen und ein Stück von dem Fremden mit sich genommen. Man ist nicht mehr der gleiche Mensch, der vor Jahren diesen Ort, die Heimat, verlassen hat. Man ist jemand anderes.

DIE MORAL VON DER GESCHICHT

Kleider riechen seltsam, wenn sie über ein Jahr lang unberührt im Schrank hängen. Wenn nicht mal jemand die Tür geöffnet hat, um sie sich anzusehen, um sie mit den Augen zu liebkosen. Wir sind zurück in Deutschland, und es fühlt sich an, als habe die Zeit still gestanden. Der Bussard sitzt noch immer am Straßenrand und wartet darauf, dass die Autos Mäuse überrollen. Er ist fett, was mich verwundert, denn der Boden ist noch immer gefroren. Ich hätte vermutet, dass nicht viele Mäuse unterwegs sind. Es ist kalt, aber die Sonne scheint, die Luft ist klar und färbt uns die Wangen rot. Aber was soll ich draußen machen? Ich hatte vergessen, wie ereignislos das Leben sein kann.

Wir haben 29.214 Kilometer Erde von oben gesehen, 19 Flugzeuge haben wir dafür bestiegen. 435 Kilometer sind wir über die See geschippert, 1.251 Kilometer mit dem Bus durch die Landschaft geschaukelt und 2.127 Kilometer haben wir auf Schienen hinter uns gebracht. Zusammen ergibt das fast eine komplette Erdumrundung.

Paul hat seinen Nintendo verloren und ich meine Taucherbrille. Gegenseitig haben wir uns ab und an um den Verstand gebracht, aber nie den Humor verloren. Manieren, Bedenken und Klischees haben wir über Bord geworfen und an anderer Stelle wieder aufgesammelt. Gefunden haben wir weder Weisheit noch die große Liebe. Stattdessen haben wir gelernt, mit wie wenig man auskommen kann: Ein Freund und eine paar gute Geschichten sind genug.

PIA VOLK Nach ihrem Heimweg ist sich Pia Volk sicher: Sie ist weder seekrank noch hat sie Flugangst. Mittlerweile lebt sie als freie Journalistin in Leipzig und schreibt über alles, was ihr unter die Nase kommt. Gerade arbeitet sie an einem Buch über Rucksackreisen mit Kindern. Sie reist immer noch viel und plant immer noch wenig, denn sie findet, dass die schönsten Dinge passieren, wenn man rein gar nichts erwartet. www.piavolk.net

Previous Post Next Post

You Might Also Like

No Comments

Leave a Reply