Außen knusprig, innen luftig, in der Mitte eine dünne Kruste, durch die man fast durchsehen kann – goldbraun und dick mit Puderzucker bestäubt. Die perfekten Kiachl sind zwar selten geworden, aber es gibt sie. Eigentlich brauchen sie nur eine warme Stube – und viel Geduld.
TEXT Kathrin Hollmer _ ILLUSTRATION Jan Anderson
Im Gang riecht es nach heißem Fett, die hölzerne Treppe knarzt bei jedem Schritt, genauso wie das Feuer im Holzofen, von dem mir eine heiße Wolke entgegenweht, als ich die Küchentür öffne. »Komm rein und mach schnell die Tür zu. Der Hefeteig braucht eine warme Stube«, sagt Anni. Warm ist es wirklich. In der Küche sind es gefühlte 40 Grad. Anni ist 88 und im ganzen Landkreis bekannt – besser gesagt, ihre Kiachl, Zimtnudeln und Krapfen sind weit über ihr Dorf hinaus bekannt. Für Heimat- und Pfarrfeste, Fahnenweihen, Geburtstage und Kirchweih backt sie schon mal hundert Kiachl oder Zimtnudeln – und das so gut, dass am Kuchenbüffet die Torten und Sahnestückchen jedes Mal liegen bleiben. Wie man so gute Kiachln (anderswo sagt man auch »Kücherl« oder »Ausgezogene« dazu) macht, will mir die ehemalige Bäuerin heute beibringen. Bevor wir mit dem Workshop beginnen, muss sie aber schnell noch 60 Zimtnudeln für eine Hochzeit im Nachbardorf backen. Damit ist aber fast fertig. »60 sind ja nicht so viel«, sagt sie und lächelt. Ihre Rekordmarke liegt weitaus höher: für ein Einstandest hat sie schon mal 300 Kiachl gebacken. Zwei Tage hat sie dafür gebraucht.

Die Zimtnudeln sind schneller fertig. Mit zwei Löffeln katapultiert Anni salopp eine nach der anderen aus dem breiten Topf mit dem heißen Butterschmalz. Sie landen in einem blechernen Nudelsieb. Nostalgisch würde man heute dazu sagen. Aber das Sieb hat keinen Retro-Look. Es ist wirklich alt. »Ich habe es von meiner Schwiegermutter, es ist schon hundert Jahre alt. So was findet man heute nicht mehr«, sagt sie, und spannt mich ein: »Geh, leg mal die Zimtnudeln auf das Brett rüber, damit im Sieb wieder Platz ist.«

Während sie die letzten Zimtnudeln backt und in Zimt und Zucker wälzt, gibt sie mir Anweisungen für den Kiachl-Teig. Für den Vorteig brösele ich Hefe in eine Schüssel und gebe Zucker und Milch dazu. In eine zweite Schüssel kommt das Mehl. »Heute machen wir eine kleine Ladung mit zwei Pfund Mehl. Sonst nehme ich mindestens drei«, sagt Anni. Dass bei ihr keine normalen Mehlpackungen ins Haus kommen, wundert mich nicht. Sie hat immer einen Zentnersack auf ihrem Dachboden – und selbst der reicht nur wenige Wochen. Während mir Anni erzählt, dass sie davon auch Brot, Semmeln und Pizza für ihre Urenkel backt, rührt sie den Vorteig in die Mehlmischung. Dann braucht der Teig erst mal Ruhe. Später kommen die restlichen Zutaten dazu – und danach die erste Hürde: den Hefeteig schlagen. Anni holt einen riesigen Kochlöffel aus dem Schrank und bearbeitet damit den Teig, bis der Tisch wackelt. Bei ihr sieht das ganz leicht aus. Dann bin ich dran. Und kann nach einer Minute nicht mehr. Anni übernimmt wieder. Immer wieder probieren wir die Konsistenz des Teiges, bis Anni zufrieden nickt und ihn zudeckt.

Wieder muss der Teig gehen. Danach werden kleine Kugeln geformt. Aber nicht einfach so, das geht wie am Fließband. Anni formt immer zwei Kugeln auf einmal mit den flachen Händen auf dem Nudelbrett. »Einzeln kann ich das gar nicht«, sagt Anni und legt noch ein paar Holzscheite in den Ofen. Kiachl backt sie immer auf dem Holzofen. Dort wird jetzt das Butterschmalz warm, während die Teigkugeln ein letztes Mal gehen. »Kiachl müssen schwimmen«, sagt Anni. Und zwar unbedingt im offenen Topf: Von ihren Kindern hat sie einmal eine Fritteuse geschenkt bekommen – und nie benutzt.

Die nächste Herausforderung ist das »Ausziehen«. Anni taucht ihre Fingerspitzen in das warme Schmalz, drückt mit der Handfläche leicht auf eine Teigkugel und nimmt sie in die Hand. Vorsichtig formt sie von innen nach außen einen Rand. Dadurch wird der Teig in der Mitte ganz dünn – ohne, dass man ihn »übers Knie« legen muss, wie die Legende besagt. Ich schaue genau zu, ihre Bewegungen sind sehr flink: Ziehen, drehen, hin und wieder eine kleine Korrektur, und dann ist schon die nächste Kugel an der Reihe. Jetzt bin ich dran. Vorsichtig bearbeite ich den Teig. Doch mein erster Kiachl reißt gleich in der Mitte. »Das macht nichts«, sagt Anni, »da drehen wir einen Achter daraus, den darf man dann gleich nach dem Backen essen«, und formt aus dem Teig eine Schlinge. Die landet, genau wie die gelungenen Kiachln, im heißen Fett.

Zweieinhalb Stunden haben wir für unsere Kiachln gebraucht. »Allein bin ich ein bisschen schneller«, sagt Anni und grinst. Trotzdem bin ich sehr stolz auf meine ersten eigenen Kiachln, auch wenn sie nicht so perfekt aussehen wie die meiner Lehrerin. Das Fett lässt Anni wieder fest werden und bewahrt es auf, »damit kann man schon noch einmal Apfelkücherl machen«, sagt sie. Jetzt gibt es erst mal Kaffee. Und die »Achter« natürlich – es ist nicht bei dem einen geblieben – die auch ohne Puderzucker einfach himmlisch schmecken.
DAS REZEPT (für etwa 40 Kiachl)
ZUTATEN
● 2 Pfund Mehl
● 2 Würfel Hefe
● 1⁄2 Packung Backpulver
● 70 g Butter
● 1 EL Rum
● ca. 5 EL Zucker
● 1 gestrichener TL Salz
● 4 Eier + 1 Eigelb
● 1 l Milch
● 1 1⁄2 Pfund Butterschmalz zum Backen (Anni empfiehlt Butaris) Puderzucker zum Bestreuen
ZUBEREITUNG
No 2: Die Hälfte der Milch lauwarm erwärmen
No 2: Hefe in eine Schüssel bröseln, einen Teelöffel Zucker darüber streuen und die lauwarme Milch dazu geben
No 2: In einer großen Schüssel Salz und Backpulver mit dem Mehl vermengen und in der Mitte eine Kuhle formen
No 2: Die Hefemischung in diese Kuhle geben und nur in der Mitte mit einem Löffel umrühren., 20 Minuten gehen lassen.
No 2: In einer weiteren Schüssel Butter mit 4 Esslöffeln Zucker, den Eiern und dem Rum mit dem Rührgerät schaumig rühren
No 2: Die restliche Milch am noch warmen Ofen stehen lassen
No 2: Die Buttermischung zum Teig geben und alles verrühren (erst vorsichtig, dann mit dem Knethakenaufsatz vom Rührgerät)
No 2: Den Teig mit einem großen Kochlöffel von Hand fest schlagen, bis er ganz fein wird (und nichts mehr am Löffel kleben bleibt), dafür evtl. noch etwas Mehl hinein sieben oder etwas von der restlichen Milch dazugeben
No 2: Mit einem Geschirrtuch zudecken und 30 Minuten gehen lassen
No 2: Etwas Butterschmalz zerlaufen lassen und ein Nudelbrett bemehlen
No 2: Mit einem bemehlten Esslöffel Häufchen vom Teig auf das Nudelbrett setzen
No 2: Hände in das Schmalz tauchen, mit der flachen Hand auf dem Brett Kugeln formen (dazwischen einmal wenden) und auf ein weiteres Brett legen
No 2: Die Kugeln mit einem Geschirrtuch zudecken und 20-30 Minuten gehen lassen
No 2: In der Zwischenzeit das Backfett schmelzen lassen, bis es ganz heiß ist. (Kochlöffeltest: Wenn man den Stiel vom Kochlöffel in das Fett hält, muss es zischen, dann hat es die richtige Temperatur)
No 2: Mit den Fingerspitzen ins warme Fett tauchen, jede Kugel erst ganz leicht platt drücken und dann ausziehen > Das geht so: Vorsichtig mit den Daumen einen Rand formen, so dass die Mitte ganz dünn wird. Aufpassen, dass kein Loch entsteht (wenn’s doch passiert: Teig zu einem Achter drehen und mitbacken, schmeckt genauso wunderbar!) und schnell ins Fett legen
No 2: Die Kiachl auf jeder Seite goldbraun backen (am besten mit zwei Gabeln wenden) – wenn das Fett richtig heiß ist, geht das in wenigen Minuten
No 2: Mit den Gabeln herausfischen, auf ein Brett mit Küchenpapier legen und auskühlen lassen
Mit Puderzucker bestreuen – oder einfach so reinbeißen. Mhhh …
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