Fine Heininger liest mit der Taschenlampe unter der Bettdecke und steht früh auf. Madeleine Penny Potganski überrascht sich selbst mit vertauschten Adjektiven und schläft gern aus. Zusammen sind sie seit 10 Jahren die Matrosenhunde und erstellen kleine Geschichten über Großes in Text (Madeleine) und Zeichnung (Fine). Eine Zeichnung antwortet auf einen Satz und umgekehrt und kommt der Wahrheit ein Stück näher. Päng! verraten sie, was die Freiberuflichkeit mit ihnen und ihrer Freundschaft macht und ob es einen Plan B braucht.
Interview _ Josephine Sowah
Was genau ist das, was ihr beruflich macht?
Fine: Wir schauen genau hin und dann denken wir uns noch was dabei und dann schreibt Madeleine und ich zeichne und dann ist da etwas Neues.
Madeleine: Wir notieren Alltagswunderlichen, kleine Momente und große Gefühle in Text und Bild. Uneindeutig, poetisch, suchend und findend.
Und was stand früher in den Poesiealben eurer Freunde, was ihr mal werden wollt?Madeleine: „Jäger (um heimlich die Tiere des Waldes zu retten), Tierarzt und Millionär“. Ist dann auf gute Weise anders gekommen.
Fine: Auf jeden Fall war es damals schon weltverbesserungsthematisch. Nur leider kann ich kein Blut sehen. Deshalb hatte ich dann einen Zettel an der Wand mit der Reihenfolge der weiteren Möglichkeiten. Opernsängerin, wenn das nicht klappt: Autorin. Wenn das nicht klappt: Irgendwas mit ner Band. Wenn das nicht klappt: Modedesignerin.

Ein Tag im Leben der kleinen Matrosenhunde: wie sah ein freier Nachmittag bei Euch aus?Fine: Gezeichnet habe ich zu der Zeit jedenfalls nicht so viel. Ich hab entweder im Hort abgehangen und mit meiner besten Freundin Laila große Jungs verprügelt, weil die Kleine geärgert haben oder ich bin mit meinem BMX zu meiner Oma gefahren und wir haben Canasta gespeilt und Pfefferminzschokolade gegessen. Zuhause war ich deep into Handarbeit und hab Teewärmer und Mützen und sowas gestrickt. Damals war das aber noch ziemlich uncool. Ich war also immer schon uncool, im Gegensatz zu Madeleine. Als ich das mal festgestellt habe, war das sehr befreiend. Jetzt kann ich endlich ich sein ohne Stress.
Madeleine: In meinem Signature Look (gelbe Hose, gelbes Shirt, gelber Helm) mit meinem Fahrrad irgendwelche Treppen runterfahren, Bäume beklettern, als Zentaur über Hürden galoppieren, bei Freundinnen fasziniert Barbiehaare färben, den Büchereiausweis einlösen, Geschichten erfinden und mit meinem Detektivklub dubios wirkende Bürger beschatten, über Zuggleise und Bauzäune hinweg. Und Pfefferminzschokolade mit meiner Oma essen. It was a thing.

Wann war klar, in welche Richtung es laufbahntechnisch geht?
Fine: Die Richtung war eigentlich schon länger klar, nur das Spezielle noch nicht, da habe ich lange herumlaviert, eigentlich wollte ich Musikerin werden. Aber erstens bin ich zu ungeduldig zum Üben – man könnte auch sagen faul – und zweitens ein bisschen taub. Auflegen ging dann noch eine Weile: so ein Club hat ja auch für Taube einen guten Einstiegspegel und außerdem gibt es nette Programme, die akustische Wellen visualisieren. Man kann also sehen, was gleich passiert. Längerfristig brauchte ich dann aber doch eine andere Perspektive und bin über den Umweg Modedesign-Textildesign zu Illustration und Grafik-Design gekommen. Das bleibt jetzt auch so: ich habe eine schöne Arbeit!
Madeleine: Ich fand Theater gut und Sprache, also habe ich nach der Schule Theater-, Film- und Medienwissenschaften studiert. Seither ist eigentlich gar nichts mehr klar, aber das Genau-Hinsehen, das Erfinden von Dingen, das Konzipieren und das Geschichtenerzählen werden immer Teil meines Tuns sein, egal, in welcher Form genau.

Was empfehlt ihr ausbildungstechnisch?
Madeleine (studierte in Wien und Berlin Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Geschichte und Kunstgeschichte): Wie Kettcar wissen: „Mach immer, was dein Herz dir sagt.“ Also: Das, was sich richtig anfühlt und gerade interessant ist. Und dann, so ganz praxisangewandt, entsprechende Skills erwerben, die nützlich sind. Ob das dann ein/e bestimmte(s)/weitere(s) Studium/Ausbildung ist, das Excel-Tutorial oder der Marketing-Workshop, hängt ja ganz davon ab, was man vorhat.
Fine: Ich habe an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee und der ENSAD in Paris studiert, das war schon mal eine gute Grundlage. Das echte Leben kommt aber danach und das ist krasser als der universitäre Safe Space. Also hab ich noch ganz viele Workshops zu Gründung und Selbstständigkeit oben drauf gelegt. Das ist so wichtig und an der Uni war das Überleben nach dem Studium überhaupt kein Thema. Jedenfalls für mich. Und dann gibts natürlich tolle Online-Kurse mittlerweile. Als nächstes würde ich gerne meine eigene Schrift digitalisieren, damit wir sie zB. auch auf der Webseite benutzen können.

Nehmt uns eine Woche mit in euren Arbeitsalltag – wann geht es früh los, wir versorgt ihr euch über den Tag, was passiert bis zum Feierabend?
Fine: Ich radele von Ost nach West und überquere einmal das Wasser. Das soll man tun, hab ich gehört, das ist gut für’s Gefühl. Matrosenhunde müssen ja auch immer auf’s Wasser schauen, so steht es in unserem Manifest. Da sortiere ich auch meine Gedanken. Ich brauche diesen Abstand zwischen Privat und Arbeit, um mich innerlich umzustellen und das Jeweilige an seinem Ort zu lassen. Dann schließe ich meist als erste das Studio auf, lüfte, gieße den Garten im Sommer und sortiere meinen Tag: Wie viel ich zeichnen und gestalten darf und wie viel Akquise, Verhandlung, Steuer, Versand und sonstige Organisation ist. Weisen Netzwerkenden folgend versuche ich nach dem Credo »Never eat lunch alone« noch eine schöne Mittagsverabredung zu haben, manchmal bin ich aber auch aufgrund der Berge auf dem Schreibtisch bei Team Stulle & Brot dabei. Feierabend ist immer gleichzeitig zu früh und zu spät, weil eigentlich wird die worklife-balance stark geachtet, allerdings habe ich den besten Umsetzungsflow auch immer ne halbe Stunde, bevor ich los muss. Schlimm. Ich versuche mich selbst zu behumsen, in dem ich mir ne Stunde früher Losgehzeit im Kopf montiere.
Madeleine: Mit zwei kleinen Kindern ist mein Alltag gerade sehr kleinteilig-durchorganisiert, irgendetwas zwischen Texte schreiben, Lego suchen und die kleine Poesie zwischendrin. Als ausgesprochen introvertierter Mensch arbeite ich zuhause, zwischendurch aufgelockert von externen Projektmeetings, Lunchdates und Jour Fixes mit anderen Kreativen. Der Mann bringt die Kinder, ich hole sie meist, manchmal mache ich einen langen Arbeits- oder Plaisirtag. Nachmittags dann eine Runde Bücherlesen, Spielplatz oder aufs Tempelhofer Feld, dann Abendessen, Kinder ins Bett bringen oder zum Sport, anschließend das Internet leer klicken und Serien gucken oder alte Zeit-Magazine lesen, mit Freundinnen kommunizieren, selten eine Bar aufsuchen oder ein Opernhaus. Zwischendurch für die Seele und das Sturm-und-Drang-Gefühl und um das Prekariat der Selbstständigkeit gebührend zu feiern ein Blaumachtag. Einfach an einen geheimen See fahren oder in den Wald oder ein ruinöses Fabrikgelände durchstreifen.

Woher kennt ihr euch und wie klappt die Zusammenarbeit?
Fine: Wir haben uns bei einem Kontaktimprovisationstanzkurs kennengelernt, zu dem uns jeweils eine gemeinsame Freundin geschleppt hat, die dann aber doch keine Zeit hatte. Wir sind uns da direkt dann ziemlich nahe gekommen. Und man lernt ja beim beim gemeinsamen Tanzen so krass viel über den anderen. Das ist wie ein Gespräch. Kommunikation. Bis wir beschlossen haben, das wir voll gut zusammen arbeiten können, hat es dann aber noch ne Weile gedauert. ich hab mir ja immer gewünscht, dass Teamwork mal klappt und dass zusammen was Gutes und Neues entsteht. Dafür muss man dann aber auch echt die richtige Person finden. Wir haben auch abseits unserer künstlerischen Arbeit an Matrosenhunde verschiedene administrative Aufgaben. Da ergänzen wir uns ganz gut. Wichtige Entscheidungen diskutieren wir und treffen sie gemeinsam. Insgesamt haben wir aber mehr Ideen als wir jemals schaffen werden umzusetzen.
Madeleine: Eigentlich ist es immer noch wie Tanzen, nur ohne Über-den-Boden-rollen. Wir haben eine wahnsinnig eingespielte und „matchende“ kreative Zusammenarbeit und eine seit 10 Jahren stabile E-Mail-Beziehung mit regelmäßigem Analog-Austausch und kleinen Expeditionen.

Internetreizüberflutung – gut für eure Inspiration?
Madeleine: Ich habe eine klassische Hassliebe zum Internet. Ich google alles, wirklich jede Seltsamkeit und habe üblicherweise 30 Tabs offen. Gleichzeitig liebe ich komplett digitalfreie Tage bis Wochen, in denen ich nur Wasser angucke, Bücher lese und ab und zu etwas in ein zerknicktes Notizbuch notiere.
Fine: Ach ja, man darf sich da nicht frustrieren lassen: Warum soll ich jetzt noch eine Wurst zeichnen – es haben schon hunderttausend Leute eine geile Wurst gezeichnet. Dann kann ich meinen Beruf sein lassen. Ich zeichne eine Wurst, weil ich Lust habe, eine Wurst zu zeichnen und weil meine Wurst vielleicht eine gute und schöne und wichtige Wurst ist. Klar gucke ich mir andere Illustrierende und MalerInnen und so an. Und wir sind ja freie Menschen: Man kann das Telefon auch in die Tasche stecken und aus dem Fenster schauen.

Wie bekommt man Kunden? Wie löst man sich, falls es nicht passt? Was macht man, wenn keine kommen?
Madeleine: Ich glaube, man merkt, wenn es passt. Also: Wenn man sich vernünftig professionalisiert und positioniert hat, kommen meist die richtigen Kunden, und ist die Zusammenarbeit von gegenseitiger Wertschätzung und gutem kreativen Output geprägt, kann das lange so weitergehen. Wenn es nicht passt: Danke und Adieu sagen. Wenn keine kommen: Gucken, woran das liegt. Sichtbarkeit? Unklarheit? Eigentlich habe ich (an guten Tagen) die Überzeugung, dass es für alles auf der Welt Zielgruppen gibt und dass man, wenn man Freude am Tun hat und das auch zeigt, die passenden Kunden anziehen wird.
Fine: Seit neuestem werden wir als Matrosenhunde von der tollen Illustrations-Agentur Rauchwetter vertreten. Die dürfen dann den großen Reichtum bringen. Ansonsten läuft viel über Mundpropaganda und jemand hat was von uns gesehen und fand das gut und so kommt man ins Gespräch. Im besten Fall hört man vorher auf sein Bauchgefühl, das hat nämlich immer Recht, ob es mit Kunden passt oder nicht. Da wir beide ja noch unsere Kommunikationsjobs haben (Madeleine Textbüro Kleine Einheit und Fines Agentur Denken & Handeln), sind wir nicht darauf angewiesen, von unserer künstlerischen Matrosenhunde-Arbeit zu leben. Deshalb fällt es uns leicht, auch ein Projekt ziehen zu lassen, wenn es nicht passt. Wir sind zum Beispiel nicht niedlich und nicht romantisch und so ein bisschen Element of Crime zum Anschauen. Und wenn wirklich gar keine Kunden kommen, dann muss man losgehen und welche finden.

Was ist das Schönste an Eurem Beruf?
Madeleine: Neugierig die Welt beobachten und daraus etwas entstehen lassen. Nicht in ein Büro gehen müssen oder um Urlaub betteln. Eine Stimme haben und ein Hallo hinausrufen.
Fine: Ich sammle ja Menschen mit schönen Berufen: der Klavierstimmer, die Hebamme, der Landschaftsgärtner. Das Schönste an meinem Beruf ist, dass ich mir meistens meine Kunden und damit das Thema aussuchen kann. Natürlich muss ich auch manchmal Projekte annehmen, weil die Kasse gefüllt werden muss. Aber im Gegensatz zu früheren Jobs in Abhängigkeit, wo ich auch für große Firmen arbeiten musste, die es mit der Nachhaltigkeit eher ungenau nehmen, habe ich mir in den letzten Jahren eine Kundenzielgruppe von Guten und Weltverbessernden aufgebaut. So darf es gerne weiter gehen. Dadurch, dass diese aus den unterschiedlichsten Bereichen kommen, füttere ich bei der Recherche stetig mein Allgemeinwissen mit Expertenbildung. Das ist so aufregend und horizonterweiternd. Ich denke mich in die jeweiligen Themen der Menschen, mit denen ich zusammenarbeite rein und versuche »des Pudels Kern« zu ergründen und dann zu visualisieren, damit andere ihn schneller verstehen.

Die größte Herausforderung?
Fine: Offen bleiben, nicht immer das weiter machen, was schon funktioniert. Ich verschreibe mir gerne selber Herausforderungen: z.B. ein anderes Zeichenmedium. Dann rostet man nicht ein und ich mag es (im Nachhinein), wenn auch mal was nicht gleich klappt und ein bisschen knatscht und quietscht. Das ist viel spannender!
Madeleine: Gelassenheit. Ich suche noch immer mein inneres Jamaika.

Falls ihr die Matrosenhunde eines Tages satt habt, was ist der Plan B?
Fine: Dann sind wir einfach nur noch befreundet, hoffentlich. Und gehen wieder mehr aufs Wasser. Aber uns gibt es schon so lange, ich hab mich einfach dran gewöhnt.
Madeleine: Ich glaube, ich werde Matrosenhunde gar nicht satt haben. Es war immer ein Seit-Projekt und kann das gerne bleiben. Ob wir Kiezkuriositäten erkunden, mit unseren Familien lange Ferien zelebrieren oder eines Tages als segelnde Seniorinnen übers Wasser schippern: Matrosenhunde sind kleine Streuner, die immer Mittel, Wege und Formen finden werden, um ihr gemeinsames Staunen über die Welt drinnen und draußen auszudrücken.
DAS MÖCHTE ICH!

Die Matrosenhunde lassen die Herzen der Pängster höher schlagen und verlosen 3 ihrer druckfrischen legendären Kalender für 2020
Für alle, die sich manchmal in die Ferne träumen und in der Nähe bleiben, die sich wundern und neugierig bleiben, die geduldig warten und ungestüm sie selbst sein wollen haben: „Bis bald im neuen Leben“. Sehr nützlich überm Küchentisch und am Arbeitsplatz, in der Werkstatt und als Geschenk für Lieblingsmenschen.

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